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Der Kosovo als „Sicheres Herkunftsland“?

Die derzeitige Einwanderung von Kosovaren hat bei vielen Verantwortlichen vor allem Abwehrreflexe hervorgerufen: fast schon hysterisch wird alles in Anschlag gebracht, was die Mottenkiste der Abschreckung zu bieten hat: Schnellverfahren, Essenspakete, beschleunigte Abschiebungen und die Abwehr von Einwanderungswilligen am besten schon im (vermeintlich „sicheren“) Herkunftsland.
Die albanische Gemeinde in München fordert gemeinsam mit dem Bayerischen Flüchtlingsrat eine differenzierte Betrachtung und politische Lösungen, nicht populistische Stimmungsmache.
Eine nur auf Abwehr getrimmte Haltung ist keine hinreichende Flüchtlings- und Migrationspolitik. Die Politik muss auch die Menschen und ihre Gründe ernst nehmen“, fordert Eshref Januzai von der Gesellschaft albanischer Akademiker DIJA in München.

 

Wir fordern

  • eine aufmerksame und unvoreingenommene Prüfung von Asylanträgen auch für Flüchtlinge aus dem Kosovo,
  • die Öffnung von legalen Migrationswegen für KosovarInnen und
  • mehr wirtschaftliches Engagement für Entwicklung in Kosovo!

Es ist schon ein fast vorhersehbarer Reflex: bei verstärkter Inanspruchnahme des Asylrechts durch bestimmte Herkunftsländer kommt die Forderung, eben dieses Land zum sogenannten „sicheren Herkunftsland“ zu erklären, beinahe automatisch. Das führt zu zweifelhaften Ergebnissen, und verleiht zum Beispiel menschenrechtlich fragwürdiger Ausgrenzung von Roma-Minderheiten oder Homosexuellen in Serbien den Anstrich von Legitimität. Auch die aktuell erhobene Forderung, den Staat Kosovo zum „sicheren Herkunftsland“ zu machen, steht unter diesem Vorbehalt. Die Situation vieler Roma im Kosovo ist nach wie vor geprägt von einer kollektiven Vertreibungsgeschichte, von Übergriffen, die nicht angezeigt werden,  Furcht und alltäglicher, tiefgreifender Ausgrenzungserfahrung, die mit Diskriminierung nur sehr unvollständig umschrieben ist. Weder die UNMIK-Mission der Vereinten Nationen, noch die europäische EULEX-Mission zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, noch die KFOR Truppen der NATO haben bisher Anlass gesehen, dem Staat Kosovo eine hinreichende Funktionsfähigkeit zu bescheinigen. Ethnische Spannungen können weiterhin eskalieren, der Schutz von Minderheiten ist nicht gewährleistet, vom Rechtstaat ist Kosovo weit entfernt. Einem solch fragilen Staatsgebilde nun ein Sicherheits-Etikett zu verpassen, wäre ein Akt politischer Wahrnehmungsverfälschung und grober Fahrlässigkeit.

 

Andererseits hat die derzeitige Einwanderung von zumeist der albanischen Mehrheit angehörenden Kosovaren nicht viel mit Asyl zu tun. Die Ursache dieser Auswanderung wird in den meisten Fällen nicht asylrelevant sein. Es steht zu vermuten, dass die Wirtschaftskrise, die auch Kosovo beutelt, und die anhaltende politische Inkompetenz, der sehr jungen kosovarischen Bevölkerung eine Perspektive zu bieten, ursächlich dafür sind, dass nun viele ihrem Land den Rücken kehren. Es handelt sich um ein Migrationsproblem, und so müssen Lösungen nicht im Bereich Asyl (oder dessen Einschränkung) sondern in der Migrationspolitik gesucht werden. Tatsächlich gerät das für Asylsuchende konzipierte Aufnahmesystem schnell an seine Grenzen, wenn es auch andere MigrantInnen unterbringen soll. Aber was, außer politischem Schubladendenken, spricht dagegen, kosovarische Zuwanderer anders zu behandeln als solche aus Moldau (die schon seit Jahren mittels rumänischer Pässe in der EU arbeiten) oder aus Portugal? Nichts verpflichtet uns, Kosovaren als Asylsuchende zu behandeln, nur weil sie mittels eines Asylantrags die Zurückweisung an der Grenze umgangen haben. Die Kosovaren suchen nicht das bundesdeutsche Essenspaket, sie suchen eine Perspektive für sich und ihre Familien. Warum sollen sie diese Chance nicht bekommen? Eine zumindest temporäre Arbeitserlaubnis würde das Aufnahmesystem entlasten und den Kosovaren eben die Chance einräumen, die sie in ihrem eigenen Land nicht bekommen. Wenn selbst die CSU messerscharf erkannt hat, dass es sich nicht um Asyl handelt, muss diese Krise mit migrationspolitischen Maßnahmen, nicht mit Einschränkungen im Asylrecht beantwortet werden. Eine drastische Verfahrensbeschleunigung ist angesichts der ohnehin schon festgestellten Überlastung des Bundeamts für Migration und Flüchtlinge unrealistisch.

 

Auswanderung allein bietet aber auch keine Perspektive für Kosovo. Sie erhöht die ohnehin drastische Abhängigkeit kosovarischer Haushalte von den Überweisungen ihrer MigrantInnen, und entzieht der Gesellschaft ihre gut ausgebildeten Köpfe, nur damit diese auf deutschen Baustellen arbeiten. Der Schaden dieses Brain Wastes für die Entsendestaaten ist kaum zu beziffern. Hier ist das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit gefragt, wo man seit langem vorgibt, Migrationsursachenbekämpfung zu betreiben. Und Europa ist hier gefordert. Statt sich gegenseitig die Verantwortung für Flüchtlinge zuzuschieben, sollte die Auswanderung aus Kosovo den Blick europäischer Staaten auf dieses vergessene Ländchen in ihrer Mitte lenken. So gesehen hätte die gegenwärtige Krise auch ihr Gutes. Sie erinnert uns daran, dass es außer Griechenland noch weitere Staaten in Europa gibt, die der europäischen Solidarität bedürfen.

 

Ein Kommentar von Stephan Dünnwald

Medienberichte:   

"Winter-Touristen?" Kosovaren wehren sich (Abendzeitung, 04.03.2015)

Wer kommt warum aus dem Kosovo? (Albanische Gemeinde, Bayerischer Flüchtlingsrat, 04.03.2015)

Weniger Asylbewerber aus dem Kosovo (Spiegel Online, 04.03.2015)

Flucht ins gelobte Land (Münchner Merkur, 26.02.2015)

Abschiebungsdrama im Morgengrauen (AZ 19.02.2015)

Unmenschliche Abschiebung: Kehraus in Bayern  (Bayerischer Flüchtlingsrat, 18.02.2015)

Weiter Streit über Asylverfahren (FAZ, 18.02.2015)

Abschiebung: die Nachbarn sind geschockt (Mittelbayerische Zeitung 17.02.2015)

Bayern schiebt Kosovaren ab (Mittelbayerische Zeitung, 17.02.2015)

In der Bayernkaserne wird's eng (Abendzeitung München, 16.02.2015)

Keine Schnellverfahren für Kosovo-Flüchtlinge! (Bayerischer Flüchtlingsrat, 16.02.2015)

"Flucht ohne jeden Fluchtgrund" (üddeutsche Zeitung, 11.02.2015)

Flüchtlingsrat wirft Staatsregierung «rechte Parolen» vor (Mittelbayerische Zeitung, 11.02.2015)

Flüchtlingsrat kritisiert Staatsregierung (Münchner Merkur, 11.02.2015)

Bayern will Flüchtlingen vom Balkan kein Bargeld mehr auszahlen (Augsburger Allgemeine Zeitung, 11.02.2015)

Missbrauchsdebatte stoppen! (Bayerischer Flüchtlingsrat, 11.02.2015)

Bernreiter: "Wir sind nicht das Sozialamt vom Balkan" (Süddeutsche Zeitung, 10.02.2015)