Das Martyrium des Cliff Oase

Der 30 - jährige Cliff Oase aus Uganda kam im Jahr 2003 nach Deutschland. Mit 14 Jahren wurde er von Rebellen entführt und als Kindersoldat missbraucht. Nach 4 Jahren war ihm die Flucht gelungen. Eine Anerkennung als politischer Flüchtling hat er in Deutschland jedoch nicht erhalten. Seit zehn Jahren muß sich Cliff ein Zimmer mit einem anderen Mann in Neuburg an der Donau teilen. 450 Menschen sind dort untergebracht. Ohne Privatsphäre, in unhaltbaren hygienischen Zuständen. Cliff Oase ist traumatisiert und leidet unter Kopfschmerzen, schweren Schlafstörungen, verfolgt von den Bildern aus seiner Vergangenheit. Eine therapeutische Behandlung bleibt jedoch auch ihm verwehrt. Was das für das Leben von Cliff Oase alltäglich bedeutet, hat Bernd Duschner von dem Verein »Freundschaft mit Valjevo e.V.« in folgendem Artikel zusammengefasst.

Wie bayerische Ausländerbehörden einen Menschen zerstören

Gibt es bei der bayerischen Regierung und den Behörden Rassismus? Werden bei uns gegenüber Asylbewerbern elementarste Grundregeln des Anstandes und der Menschlichkeit missachtet? Bei solchen Fragen muss ich an die Flüchtlinge in der „Sammelunterkunft für Asylbewerber“ in Neuburg a. d. Donau denken. Einige dieser Asylbewerber sind bereits seit über 15 Jahren gezwungen, ohne Arbeitserlaubnis und ohne jedes Bargeld vor sich hinzuvegetieren. Ohnmächtig müssen sie zu sehen, wie sie physisch und psychisch kaputtgehen. Regelmäßig einmal im Monat bringt unser Verein „Freundschaft mit Valjevo e. V“ Lebensmittel für Kleinkinder in das „Sammellager für Asylbewerber“ nach Neuburg. Dazu organisieren wir mit ihnen Ausflüge. Bei einem solchen Besuch in Neuburg habe ich vor vier Jahren Cliff Oase kennengelernt.

Die „Sammelunterkunft für Asylbewerber“ ist nur wenige Hundert Meter vom Stadtzentrum entfernt. Die rund 450 Asylbewerber, unter ihnen 60 Kinder, sind auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne in nur fünf Gebäuden untergebracht. Sie leben in äußerst beengten Verhältnissen: Ein einziges Zimmer muss jeweils einer ganzen Familie mit ihren Kindern oder 2 - 4 Einzelpersonen als „Wohnung“ genügen. Die hygienischen Verhältnisse sind bedrückend: Dutzende von Menschen haben sich Dusche und Toiletten gemeinsam zu teilen.

Eine Privatsphäre, wohin man sich zurückziehen könnte, gibt es für keinen der Bewohner. Auf dem gesamten Areal, dem „Lager“, wie es die Asylbewerber bezeichnen, gibt es keinen einzigen Gemeinschaftsraum, wo sie sich treffen und austauschen könnten. Die Isolierung der Einzelnen ist gewollt. Sie macht die Flüchtlinge wehrlos. Die Ausgrenzung, die Machtlosigkeit gegenüber den Behörden, die Perspektivlosigkeit und die Angst vor Abschiebung, das alles schafft Aggressionen, die sich immer wieder unter den Flüchtlingen entladen.


Cliff ist einer der Bewohner dieses „Lagers“. Er ist heute 30 Jahre alt. Sein Heimatdorf lag im Distrikt Gulu im nördlichen Uganda, im Grenzgebiet zum Sudan. Cliff gehört zur Volksgruppe der Acholi. 2003 kam er nach Deutschland und hat wie die meisten Asylbewerber in Folge der äußerst restriktiven Asylgesetzgebung keine Anerkennung erhalten. Zwar forciert die Bundesregierung weltweit immer stärker Waffenexporte und militärische Interventionen. Für die Folgen dieser Politik, die wachsende Zahl an Flüchtlingen aus Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten, will sie jedoch nicht aufkommen. Asylbewerber sollen möglichst schnell und ohne Aufsehen wieder abgeschoben werden. Das „Lager“ mit seiner düsteren und bedrückenden Atmosphäre macht den Asylbewerbern deutlich, dass sie nicht willkommen sind,nicht dazugehören und hier keine Perspektive haben.

Seit 10 Jahren muss sich Cliff mit einem weiteren Kollegen ein 14 qm großes Zimmer im Gebäude „Block B“ der „Unterkunft“ teilen. Die bayerische Regierung spricht gerne von Integration, um die sich unsere ausländischen Mitbürger bemühen müssten. Cliff hat wie die meisten Flüchtlinge im „Lager“ bis heute keinen Deutschkurs erhalten. Das spart der bayerischen Regierung Geld und verhindert, dass die Asylbewerber selbst ihre wenigen Rechte wahrnehmen können. Cliff verständigt sich auf Englisch. Die Sprache hat er beim Zusammenleben mit den anderen afrikanischen Asylbewerbern gelernt. In seinem Ausweis mit dem Aufdruck „Geduldeter“ ist klar und unmissverständlich für jedermann zu lesen, dass er in der „Sammelunterkunft“ zu wohnen hat und ihm „Erwerbstätigkeit nicht gestattet“ ist. Cliff darf nicht arbeiten, um sich seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen.

Als Verpflegung erhält er seit Jahren ausschließlich die immer gleichen Essenspakete. Von den Flüchtlingen werden sie als entmündigend und zutiefst demütigend empfunden. Sie sind verhasst. Im „Lager Neuburg“ werden die Essenspakete jeden Dienstag und Donnerstag zwischen 7.30 und 9.30 Uhr ausgegeben. Wer zu spät kommt oder den Termin versäumt, für den kennen die Zuständigen kein Pardon: Der bekommt eben nichts. Für Cliff und die Betroffenen bedeutet das, ein paar Tage zu hungern oder bei Freunden um Essen zu betteln.

Wer von den Asylbewerbern in dieser Situation vor einem Schaufenster mit verlockenden Waren in der Innenstadt Neuburgs „durchdreht“ und sich aus dem Laden etwas mitnimmt, landet sehr schnell für mehrere Monate im Knast. Zwar wurde aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 18. Juli 2012 das monatliche Taschengeld für Asylbewerber von bisher menschenverachtenden 40,90 Euro auf 137 Euro erhöht. Der Barbetrag soll Asylbewerbern ein Mindestmaß an Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Auch sie sollen wie jeder andere Mensch wenigstens gelegentlich auf einen Kaffee, zu einer Sportveranstaltung, ins Kino gehen, sich etwas Eigenes kaufen können.

Das bayerische Landessozialgericht hat mit seinem Beschluss vom 24. Januar 2013 klargestellt, dass dieses Taschengeld nicht zu Sanktionszwecken gekürzt werden darf. Aber sind Afrikaner Menschen? Cliff jedenfalls – und er ist bei weitem nicht der einzige Fall im „Lager“ Neuburg – verweigert das zuständige Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen bereits seit vielen Jahren jedes Bargeld. Kann man sich vorstellen, welche Ausgrenzung, welche Demütigung es bedeutet, sich niemals eigenes Essen, niemals eigene Kleidung kaufen,niemals in ein Lokal gehen zu können? Mittlerweile hat die dortige Sozialhilfeverwaltung zynisch entschieden, Cliff neben den obligatorischen 16,11 Euro für Gesundheits- und Körperpflegeartikel (Seife, Shampoo, Zahnbürste und Zahncreme werden im Lager nicht gestellt) zumindest 5,91 Euro (!) monatlich als Taschengeld zu gewähren.

Die Regierung von Oberbayern und das Neuburger Landratsamt „rechtfertigen“ die Streichung des Taschengeldes mit der Behauptung, Cliff würde nicht genügend bei der Beschaffung seiner Identitätspapiere mitwirken. Er war in der ugandischen Botschaft. Ein Nachweis seiner Identität ist Cliff jedoch nicht möglich. Er hat keine Familienangehörigen undBekannten mehr in Uganda. Sein Heimatdistrikt Gulu war ab Mitte der 80er Jahre für mehr als zwei Jahrzehnte Schauplatz eines äußerst blutigen Bürgerkrieges zwischen den Truppen der Zentralregierung und Rebellen im Norden des Landes. Auf beiden Seiten wurden Zehntausende Heranwachsende als Kindersoldaten zwangsrekrutiert. Um den Widerstand der Rebellen zu brechen, errichtete der ugandische Machthaber Museveni Konzentrationslager, in die nahezu die gesamte Bevölkerung der Acholi und Langi, nach UN-Angaben zwischen 1,4 und 1,8 Millionen Menschen, deportiert wurde. Tausende starben, bevor diese Lager 2009 endgültig aufgelöst wurden. Bis heute besteht die Bevölkerung von Gulu deshalb zum großen Teil aus Binnenflüchtlingen. Machthaber Museveni ist übrigens gern gesehener Gast in Berlin und Washington.

Cliff ist schwer traumatisiert: Er wuchs als einziges Kind bei seiner Mutter auf. Seinen Vater hat er nie kennengelernt. Mit 14 Jahren wurde Cliff zusammen mit 20 Jungen und Mädchen seines Dorfes von Rebellen entführt. Sie bildeten ihn an Waffen aus, zwangen ihn, bei Kämpfen, Plünderungen und Morden mitzumachen.

Nach schrecklichen vier Jahren als Kindersoldat gelang ihm die Flucht in sein Heimatdorf. Dort fanden ihn die Rebellen. Sie misshandelten ihn, töteten seine Mutter vor seinen Augen und brannten ihr Haus nieder. Cliff konnte entkommen. Es folgten lange Monate auf der Flucht, in denen er sich von Abfällen auf Müllplätzen und von Erbetteltem ernährte. Ein Geschäftsmann nahm sich seiner an, brachte ihn 2003 nach Deutschland und setzte in ab. Ein neuer Abschnitt seines Martyriums begann.

Cliff muss heute ständig Antidepressiva zu sich nehmen. Er klagt über Kopfschmerzen, extreme Schlafstörungen und Alpträume. „Exilio e. V“ in Lindau hat im Dezember 2012 ein psychologisches Fachgutachten erstellt. Die Diagnose: Eine „sehr schwere posttraumatische Belastungsstörung“ (PTBS) und „depressive Symptomatik in Form von Stimmungseinbrüchen, Antriebsminderung und sozialem Rückzug“. Cliff hat trotz seiner Vorgeschichte seit seiner Ankunft in den zehn Jahren in Deutschland weder eine ambulante noch eine stationäre psychiatrische Behandlung erhalten.

Die Danuvius Klinik in Neuburg, Fachklinik für psychische Erkrankungen, hat dem Neuburger Landratsamt im Februar 2013 ein ärztliches Attest vorgelegt und zur Aufarbeitung seiner traumatischen Erlebnisse eine Traumtherapie für Cliff bei „Exilio“ ausdrücklich befürwortet. Völlig unbeeindruckt hat das LandratsamtNeuburg die Kostenübernahme für die beantragte Psychotherapie mit Brief vom 25. März 2013 an Cliff abgelehnt. Er hatte sich Hoffnungen gemacht. Unter Bezugnahme auf § 4 Asylbewerberleistungsgesetz, der die medizinische Versorgung regelt, heißt es wörtlich in dem Schreiben: „Es besteht kein Anspruch auf eine optimale und bestmögliche Versorgung. Der Leistungsumfang erstreckt sich lediglich auf die im Einzelfall unbedingt notwendigen Maßnahmen. Eine akute Erkrankung bzw. ein akuter Schmerzzustand liegen in Ihrem Fall nicht vor.“

Obwohl sie wissen müssen, dass Cliff im Norden Ugandas die für ihn erforderliche ärztliche Versorgung nicht erhalten kann und ohne jede Lebensperspektive wäre, treiben die oberbayerische Regierung und das Neuburger Landratsamt die Abschiebung von Cliff voran. Mit Schreiben vom 5. April 2013 verlangt das Landratsamt von ihm, sich schnellstens bei der Botschaft von Uganda die Papiere zu besorgen, die für seine Abschiebung benötigt werden. Cliffs Gesundheitszustand hat sich in den letzten Monaten rapide verschlechtert. Er könnte Kosten verursachen, noch schlimmer, sein Fall – nicht der einzige dieser Art in Neuburg – könnte in der breiten Öffentlichkeit bekanntwerden. Was zählen dagegen Menschlichkeit und Menschenrechte?

Bernd Duschner

PS: Zur finanziellen Unterstützung seiner Arbeit für Asylbewerber in der „Sammelunterkunft Neuburg“ bittet der Verein „Freundschaft mit Valjevo e.V.“ um Spenden auf sein Konto 8011991 bei der Sparkasse Pfaffenhofen, BLZ 72151650, Stichwort „Cliff Oase“. Kontaktaufnahme: 0171-3374658 Bernd Duschner.