Süddeutsche Zeitung, 28.01.2006

Zwischen Pflicht und "reiner Schikane"

Verschwenden Polizei und Justiz ihre Zeit mit Lappalien? / Eine kleine Demonstration gegen die Zwangsverpflegung von Flüchtlingen löst aufwendige Ermittlungen aus

Süddeutsche Zeitung: Behörden sind notorisch überlastet. Sie klagen über zu viel Arbeit und zu wenig Geld, allen voran die Polizei, die Staatsanwaltschaft und die Gerichte. Es bleibt also nur Zeit für die wirklich wichtigen Dinge auf dem Schreibtisch eines Beamten. Was aber ist wichtig?

Am 18. Juni vergangenen Jahres demonstrieren etwa 50 Münchner - Flüchtlinge und ihre Unterstützer - gegen die Zwangsverpflegung der Asylbewerber mit Essenspaketen. Es ist jene Zeit, als Dutzende von Flüchtlingen im Paket-Boykott sind, die dafür verantwortliche Regierung von Oberbayern steht unter Beschuss. Zur Demonstration trifft man sich an der Unterkunft in der Emma-Ihrer-Straße am Olympiapark, dem Boykott-Zentrum. Andreas M. ist Versammlungsleiter, er fährt mit dem Lautsprecherwagen durch ein offenes Tor aufs Gelände der Unterkunft. Das ist ein Fehler.

Gut fünf Wochen später wird ein halbes Dutzend Demonstranten angezeigt wegen Hausfriedensbruchs und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz: Die Demonstration war nur für den öffentlichen Straßenraum genehmigt, und der beginnt ein paar Meter weiter. Polizei und Regierung von Oberbayern als Hausherrin der Asylunterkunft schalten die Staatsanwaltschaft ein. Die Ermittlungsmaschinerie läuft an. Ein Kriminalhauptkommissar schreibt an einen Kriminalkommissar des Staatsschutzreferats, zuständig für Polit-Delikte aller Art, auch für Terrorismus und Völkermord. Aktenzeichen werden vergeben, Aktennotizen angefertigt, ein Kriminaloberkommissar berichtet der Staatsanwaltschaft, diese schickt M. einen Strafbefehl in Höhe von 30 Tagessätzen à 40 Euro, macht 1200 Euro. Oder 30 Tage Haft.

Das werten die Demonstranten als Versuch, ihr Engagement für die Flüchtlinge zu kriminalisieren. Und die Flüchtlinge fragen: Wie können unsere Freunde Hausfriedensbruch begehen, wenn wir Sie eingeladen haben? Haben wir denn kein Recht auf Besucher? Hartmut Wächtler, M.s Rechtsanwalt, hält das Vorgehen für „reine Schikane" gegen politisch unbequeme Geister. Warum, fragt er, haben die Polizeibeamten vor Ort diesen Rechtsbruch nicht beendet? Hätten die gesagt: Ihr dürft nicht aufs Gelände!, hätten die Demonstranten ihren Lautsprecherwägen halt zehn Meter weiter abgestellt, das wäre doch egal gewesen. „Es hat aber keiner etwas gesagt."

Hier steht Aussage gegen Aussage. Man habe, sagt Polizei-Sprecher Andreas Ruch, den Versammlungsleiter sehr wohl auf den Verstoß hingewiesen, sei dann aber „mit Fingerspitzengefühl" vorgegangen und habe die Demo nicht aufgelöst, „weil man keine Eskalation wolle". Außerdem verweist Ruch auf die Gesetze: „Wir müssen das verfolgen." Auch so etwas? „Es ist keine Lappalie."

Die Regierung verteidigt ebenfalls ihr Vorgehen. Natürlich, sagt Sprecher Thomas Huber, dürften die Bewohner Besucher empfangen. „Aber wer bei uns demonstrieren möchte, muss das anmelden." Schon „im Interesse der Bewohner" müsse man auf Ordnung achten.

Also werden auch die „normalen" Demonstranten angezeigt, darunter Claus Schreer und Hans-Georg Eberl, bekannt von den alljährlichen Protesten gegen die Sicherheitskonferenz. Schreer bekommt einen Strafbefehl, weil er „zwischen 11.15 Uhr und 12.28 Uhr" auf dem Unterkunftsgelände war: „Sie werden beschuldigt, in das befriedete Besitztum eines anderen widerrechtlich eingedrungen zu sein" - macht 900 Euro. Schreer wartet nun auf den Prozess.

„Es ist eine Straftat", sagt Anton Winkler, Sprecher der Staatsanwaltschaft. „Wenn die Regierung das anzeigt, müssen wir das verfolgen." Und sollte jemand schon mal wegen ähnlicher Delikte auffällig geworden sein, lasse sich die Sache nicht so einfach einstellen.

In Sachen Andreas M., Versammlungsleiter, hat genau dies dann das Amtsgericht getan, gegen eine Auflage von 100 Euro - zu zahlen an die gemeinnützige Aids-Hilfe. „So hat", sagt Anwalt Wächtler, „die Sache zumindest etwas Gutes."

Über so eine Gabe hätte sich bestimmt auch die Polizei gefreut. Wie hat Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer kürzlich im SZ-Interview gesagt: „Wir stehen vor der großen Herausforderung, die vorhandenen Mittel gut zu verteilen und intelligent zu sparen, um den laufenden Betrieb aufrechtzuerhalten."

Bernd Kastner

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