Nürnberger Zeitung, 24.04.2009

Zuweilen katastrophale Zustände

Selbst CSU-Politiker stimmen Asylbewerberunterkünfte nachdenklich

MÜNCHEN - Ein erschreckendes Bild von den Zuständen in den bayerischen Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber haben Sachverständige in einer Anhörung mehrerer Ausschüsse des bayerischen Landtags gezeichnet. Die Situation sei «insgesamt verfassungswidrig«, sagte der auf die Vertretung von Flüchtlingen spezialisierte Rechtsanwalt Hubert Heinold. Auch Vertreter der Kommunen und von kirchlichen Wohlfahrtsverbänden forderten eine Lockerung der Pflicht zur Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften sowie eine Änderung des so genannten Sachleistungsprinzips.

Die Ausführungen der Sachverständigen machten auch CSU-Abgeordnete nachdenklich. Man sollte auch auf diesem Gebiet dem «C« etwas mehr Gewicht einräumen, sagte der Nürnberger CSU-Abgeordnete Hermann Imhof. Es habe keinen Sinn, Asylbewerber viele Jahre in Unterkünften zu belassen und danach die Kosten für die psychiatrische Behandlung zu tragen. Man sollte «überlegen«, ob Asylbewerber in Bayern die Möglichkeit erhalten sollten, mit Bezugsscheinen einzukaufen, statt sie mit Paketen zu versorgen, so der Integrationsbeauftragte der bayerischen Staatsregierung, der CSU-Abgeordnete Martin Neumeyer (Abensberg).

Die mit der CSU koalierende FDP hatte bereits vor der Landtagsanhörung wie SPD, Grüne und Freie Wähler «bessere Lebensumstände« für Asylbewerber im Freistaat gefordert. Gemeinschaftsunterkünfte seien «keine menschliche Form der dauerhaften Unterbringung«, so die Vorsitzende des Sozialausschusses Brigitte Meyer (FDP).

Mehr oder weniger drastisch schilderten die geladenen Experten, wie die Flüchtlinge in den in Bayern verpflichtend vorgeschriebenen Gemeinschaftsunterkünften gesundheitlich und psychisch belastet würden. Die Situation in den Unterkünften sei «sehr angespannt« bis «katastrophal«, sagte Prälat Hans Lindenberger vom Caritasverband München.

Unglauben erntete Oliver Bloeck vom Sozialministerium mit seinen Angaben zu den Kosten der Gemeinschaftsunterbringung. Die von Bloeck angegebenen 230 Euro pro Person und Monat könne er nicht nachvollziehen, sagte Rudolf Stummvoll vom Amt für Wohnen und Migration der Stadt München. Die Landeshauptstadt gebe pro belegten Wohnplatz in einer Gemeinschaftsunterkunft 683 Euro pro Monat aus: «Gemeinschaftsunterkünfte sind die teuerste Lösung.« In München waren kürzlich zwei besonders marode Container-Unterkünfte geschlossen worden. Das sei nur «ein erster Schritt«, sagte Bloeck.

Der Münchner Beamte widersprach auch der jahrelang in Bayern geltenden Lesart, wonach Asylbewerber und zur Ausreise verpflichtete Ausländer keine Integrationshilfen erhalten sollen. Diese Menschen nicht zu fördern, sei kontraproduktiv, so Stummvoll. Es habe sich gezeigt, dass Flüchtlinge, die in der Lage seien, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, am ehesten bereit zur Rückkehr seien.

Bei einer Bereisung aller Regierungsbezirke fielen dem «Bayerischen Flüchtlingsrat« nach den Worten seines Sprechers Alexander Thal die Einrichtungen in Würzburg sowie Böbrach besonders negativ auf. Bei ersterer handele es sich um eine Gemeinschaftsunterkunft in einer ehemaligen nicht renovierten stacheldrahtgesicherten Kaserne, im zweiten Falle seien 62 Bewohner «mitten im Wald« in einer Art «Isolationslager« untergebracht, deren einzige Abwechslung die Essensanlieferung zweimal pro Woche sei.

Der Vertreter des bayerischen Innenministeriums Johann Steiner hatte einen schweren Stand in der Debatte. Steiner erinnerte daran, dass die Hälfte der derzeit 7426 in Asyl-Gemeinschaftsunterkünften untergebrachten Personen rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber und damit zur Ausreise verpflichtet seien. Die derzeit noch 117 Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber sind über alle Regierungsbezirke verteilt. In Mittelfranken sind in 27 solcher Unterkünfte 1145 Personen untergebracht. In Nürnberg gibt es allein neun Gemeinschaftsunterkünfte, in denen zwischen 16 und 114 Bewohner leben.

Zurück