Bayerische Staatszeitung, 03.08.2012

"Zum Nichtstun verdammt"

Gerade einmal 3,7 Prozent der Asylbewerber haben einen Job – obwohl viel mehr gerne arbeiten würden

Langeweile und Depression statt Arbeit und Integration: So sieht oft der Alltag von Flüchtlingen aus. (Foto: dapd)

 

Vor neun Jahren ist Stanley Don in Hamburg aus einem Container gesprungen. Damals war der Nigerianer 16 Jahre alt.  Heute ist Don Mechanikermeister für Reifen- und Fahrwerktechnik bei der Gräfelfinger Firma Nabholz Reifen. 2008 hatte er dort seine Ausbildung abgeschlossen – als Jahrgangsbester Deutschlands. Von Handwerkspräsident Heinrich Traublinger gab es dafür eine Goldmedaille. Und noch wichtiger: Don bekam ein Stipendium für die Meisterschule.
Viele Flüchtlinge wollen wie Don arbeiten – auch um unabhängig von Sozialleistungen zu werden. Aber nicht alle dürfen. Da ist zum einen das einjährige Arbeitsverbot für Asylbewerber, das nun auf neun Monate reduziert werden soll. Aber auch danach haben Asylbewerber oft keine Chance auf einen bezahlten Job oder eine Ausbildung. Denn vier Jahre gilt für sie ein nachrangiger Arbeitsmarktzugang. Das heißt, sie bekommen eine Stelle nur, wenn sich nachweislich kein Deutscher oder EU-Bürger dafür findet.
Laut dem Bundesamt für Statistik leben in Deutschland knapp 130 000 Asylsuchende. 2010 hatten nicht einmal 5000 von ihnen einen Job – das sind nur 3,7 Prozent. Vollzeit haben sogar nur 1500 Asylbewerber gearbeitet. Für Bayern liegen keine Zahlen vor.
Der Bayerische Flüchtlingsrat fordert seit Jahren nicht nur die Abschaffung des Arbeitsverbots, sondern auch der Vorrangprüfung. „Denn damit sind viele Flüchtlinge zum Nichtstun verdammt.“ Auch weil sich nicht viele Arbeitgeber in Deutschland auf das langwierige und komplizierte Verfahren einlassen wollen.
Einer, der sich darauf eingelassen hat, ist Peter Luibl, Einrichtungsleiter vom Augsburger Sozialzentrum Hammerschmiede, das auf die Pflege von Schwerstkranken spezialisiert ist. Vier Flüchtlinge arbeiten als Pflegehelfer dort seit gut einem Jahr. Aber Luibl betont auch: „Ohne externe Hilfe hätte das nicht geklappt. Auf uns alleine gestellt, wären wir mit der Bürokratie überfordert gewesen.“
Geholfen hat in diesem Fall die Augsburger Organisation „Tür an Tür – Integrationsprojekte gGmbH“, die das westbayerische Netzwerk für Beratung und Arbeitsmarktvermittlung für Flüchtlinge (BAVF) koordiniert, das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie dem Europäischen Sozialfonds gefördert wird. Dort haben Luibls vier neue Mitarbeiter nicht nur eine mehrmonatige Qualifizierung inklusive Sprachkurs bekommen. Auch um die Arbeitserlaubnis von der Arbeitsagentur kümmerte sich der Verein. Reiner Erben ist bei BAVF für die Koordination zuständig und erklärt: „Projektziel ist es auch, Strukturen zu verändern.“ Bislang sei das allerdings eher ein Kampf gegen Windmühlen. „Denn jeder Einzelfall ist immer wieder aufs Neue ein riesiger Aufwand.“
Luibl jedenfalls ist von seinen neuen Mitarbeitern begeistert. So sehr, dass er zweien von ihnen eine mehrjährige Ausbildung zur Fachkraft anbot. Das allerdings wurde in einem Fall nicht bewilligt. „Gerade wenn es um einen Ausbildungsplatz geht, wird es oft schwierig“, erklärt Erben. Einen Jugendlichen mit Ausbildungsplatz könne man schwerer abschieben.

Mit Uni-Abschluss in der Suppenküche

Erben vermittelt seine Kunden zum Großteil als Pflegepersonal oder ins Hotel- und Gaststättengewerbe. Dort gebe es einfach die größte Nachfrage. Und auch die Bundesagentur für Arbeit bestätigt: Fast die Hälfte aller arbeitenden Asylbewerber haben einen Job in der Gastronomie. Ein weiteres Fünftel in der Gebäudereinigung oder im Garten- und Landschaftsbau – dabei ist meist unwichtig, ob oder welche Ausbildung die Flüchtlinge haben. Erben berichtet: „Zehn bis zwölf Prozent unserer Flüchtlinge haben einen akademischen Abschluss.“ Vom Bayerischen Flüchtlingsrat heißt es provokant: „Ganze Universitäten sind in Deutschlands Spülküchen beschäftigt.“
Die Gründe sind vielfältig: Zum einen findet sich für einen Flüchtling mit nachrangiger Arbeitserlaubnis selten ein begehrter Job. Hinzu kommt: Viele Abschlüsse werden in Deutschland nicht anerkannt. Aber auch Sprachdefizite oder Mentalität sind nicht selten ein Problem.
Till Gerhard, der als Ausbilder bei Nabholz Reifen auch für Stanley Don zuständig war, erklärt: „Nicht jeder Flüchtling erfüllt die Anforderungen für eine Ausbildung bei uns. Meist scheitert es an der sprachlichen Kompetenz.“ Deshalb müsse sich jeder Jugendliche in seinem Betrieb erst einmal in einem Praktikum beweisen. „Aber wenn alles passt – auch Mentalität und Sprache –, haben wir bei uns sehr gute Erfahrungen gemacht“, betont Gerhard. Denn diejenigen seien wie Stanley Don meist hochmotiviert. An der Münchner Schlau-Schule – Schlau steht für „Schulanaloger Unterricht für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge“ – hatte er seinen Quali gemacht, Voraussetzung, um bei Reifen Nabholz die Ausbildung zu beginnen. „Wir jammern nicht, dass es keine Fachkräfte gibt“, sagt Gerhard. „Wir bilden sie aus.“
Jetzt freut sich Gerhard, dass bei ihm im September ein Jugendlicher aus Afghanistan anfängt. „Wenn einer bei uns reinpasst, ist uns egal, woher er kommt. Denn Anerkennung und Erfolg sind doch die beste Basis für eine reibungslose Integration.“

Von Angelika Kahl

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