Deutsche Welle, 18.07.2012

Zum Leben zu wenig

Die Deutsche Mark ist längst Geschichte, seit gut zehn Jahren zahlt man in Deutschland mit dem Euro. Im Asylbewerber-Leistungsgesetz ist dennoch weiterhin von der alten Währung die Rede. Und auch die Höhe der Beträge, die die Asylsuchenden als Hilfe vom Staat bekommen, hat sich seit der Einführung des Gesetzes vor 18 Jahren nicht geändert: 360 Deutsche Mark, umgerechnet 184 Euro. Dass inzwischen alles deutlich teurer geworden ist - Experten gehen allein bei Lebensmitteln von einer Preissteigerung von 25 Prozent aus - hat der Gesetzgeber bislang nicht berücksichtigt.

Menschenwürdiges Leben nicht gewährleistet

Was ein Asylbewerber im Monat benötige sei "ins Blaue hinein" geschätzt worden, so dass harsche Urteil des nordrhein-westfälischen Landessozialgerichts im Februar 2010. Die Leistungen reichen "offensichtlich nicht aus, um eine menschenwürdige Existenz zu gewährleisten", so die Essener Richter, nachdem ein Asylbewerber geklagt hatte. Die Regelung sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Deshalb hat sich nun das höchste deutsche Gericht mit dem Asylbewerber-Leistungsgesetz befasst. Das Bundesverfassungsgericht wird an diesem Mittwoch (18.07.2012) entscheiden, ob die vorgeschriebenen Leistungen gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstoßen.

Es müsse dringend die Frage geklärt werden, inwieweit die Sätze noch der Lebenswirklichkeit entsprechen, meint auch Christan Walther, der Leiter der Projektstelle Asyl bei der Stadt Leipzig. Alle Verwaltungsvorgänge zu Asylbewerbern in der ostdeutschen Metropole laufen über seinen Schreibtisch. Und so sieht er auch noch bei einem weiteren Punkt Nachbesserungsbedarf: bei der finanziellen Ausstattung von Städten und Gemeinden zur Betreuung von Menschen, die wegen politischer Verfolgung aus ihrer Heimat geflohen sind.

13 Euro pro Tag sind nicht genug

Das Bundesland Sachsen, in dem Leipzig liegt, stellt pro Jahr 4500 Euro für jeden Asylsuchenden zur Verfügung, der in der Stadt untergebracht ist. Das sind weniger als 13 Euro pro Tag. "Nach Lesart des Freistaates sind damit alle Kosten abgegolten, die den Kommunen entstehen, eben durch Aufnahme Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden beziehungsweise Geduldeten", sagt Projektstellen-Chef Walther. Doch in Leipzig reiche dieser Betrag schon seit längerer Zeit nicht mehr aus, um die Kosten zu decken. Im vergangenen Jahr zahlte die Stadt 3,4 Millionen Euro aus der eigenen Kasse, um die Ausgaben für die insgesamt 1075 Asylsuchenden und Geduldeten in Leipzig begleichen zu können.

"Im Vergleich zu anderen Kreisen und Kommunen in Sachsen ist die Situation von Flüchtlingen in Leipzig verhältnismäßig gut", urteilt Juliane Nagel, die für die Partei "Die Linke" im Leipziger Stadtrat sitzt. Dass "verhältnismäßig gut" aber nicht "vorbildlich" bedeutet, zeigt ein Blick in die Unterkünfte für Asylbewerber in Leipzig.

Kakerlaken in Küche und Bad

Zwar lebt mehr als die Hälfte der Asylsuchenden nicht in Heimen, sondern in Wohnungen, doch immer noch sind 40 Prozent in einer der beiden Sammelunterkünfte untergebracht. Eine davon soll geschlossen werden - dafür ist es offenbar höchste Zeit. Die Folgen des langjährigen Geldmangels sind offenkundig. Der Bau ist marode, Türen schließen nicht richtig, Teppiche stinken, Kakerlaken krabbeln durch Küchen und Bäder.

In einem deutschlandweit bisher einmaligen Verfahren hat der sächsische Ausländerbeauftragte Martin Gillo Ende 2011 erstmals Zustand und Qualität von 31 Asylbewerberheimen in Sachsen untersuchen lassen - im so genannten "Heim-TÜV". Nur fünf erhielten die Note "angemessen", ein sehr niedriger Qualitätsstandard, wie man an der zweiten Leipziger Sammelunterkunft sehen kann: Das vierstöckige Gebäude im Stadtteil Grünau unterscheidet sich deutlich von den umliegenden sanierten Plattenbauten. Es wirkt heruntergekommen, Stromkabel ziehen sich kreuz und quer über die Fassade, nach mitteleuropäischem Standard sieht es jedenfalls nicht aus. Immerhin - so die Heim-TÜV-Überprüfung - verfügt diese Unterkunft aber über qualifiziertes Personal und soziale Betreuung.

Jennifer Stange

Quelle: Deutsche Welle

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