Handelsblatt, 18.07.2012

Zu wenig zum Leben


Es ist nichts mehr übrig. Die 184 Euro für diesen Monat hat er ausgegeben. Wofür? Für Kino, Party, Schwimmbad? „Nein, für Lebensmittel“, sagt Armin. Der 18-Jährige kommt aus Somalia, ist als Minderjähriger nach Deutschland geflohen, lebte erst in einem Kinderheim, nun hier, im Asylbewerberheim auf der Oberbilker Allee in Düsseldorf – als Geduldeter.

„Ich würde mich gerne gesund ernähren“, sagt Armin. Gesund? „Ich würde gerne drei Mal am Tag essen“ Aber dafür reiche das Geld nicht, sagt Armin. Während er erzählt, fixieren seine Augen einen Punkt an der Decke, es ist ihm peinlich. Und dann? „Dann muss ich mir Geld leihen oder es gibt nichts.“

Dass Deutschland für Menschen zahlen muss, die hier erst einmal nur geduldet sind, regelt das Asylbewerberleistungsgesetz. Die Frage aber ist: Wie viel Geld ist ausreichend? Oder anders ausgedrückt: Kann man mit dem Satz nach dem Leistungssetz für Asylbewerber menschenwürdig leben? Eine Frage, die das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch entscheiden wird.

Bereits bei einer Sitzung im Juni prangerte Ferdinand Kirchhof, Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, die Situation der Asylbewerber an: "Ein bisschen Hunger, dann gehen die schon, das kann doch nicht sein". Ein Hartz-IV-Empfänger bekäme pro Monat einen Regelsatz von 364 Euro pro Monat – und das gelte bereits als Existenzminimum, sagte Kirchhof. Flüchtlinge bekämen rund 220 Euro, Armin, der Flüchtling aus Somalia, sogar noch weniger.

Guten Aussichten also für ein wenig mehr Geld in der Tasche der Betroffenen? Bei „Stay“, einer Düsseldorfer Flüchtlingsinitiative, kann man daran nicht so recht glauben. Denn auch wenn das Urteil für die Betroffenen positiv ausfallen würde, sei noch nicht klar, wie viel Geld die Asylsuchenden in Zukunft mehr bekämen – oder ob überhaupt mehr Bargeld, sagt Michael Lukas von der Flüchtlingsinitiative.

Die Situationen für Familien ist bedrückend

Auf Armins Bescheid, erklärt Lukas, werden 380 Euro ausgewiesen, davon werden Miete und Heizkosten abgezogen. Bleiben 184 Euro pro Monat. „Die Düsseldorfer Asylsuchenden sind noch gut gestellt, denn sie bekommen das Geld ausbezahlt“, sagt er. In anderen Städte und Gemeinden müssten die Betroffenen mit Essensmarken vorlieb nehmen oder von einer Liste auswählen, welche Lebensmittel sie haben wollen. Dann blieben 40 Euro im Monat zur freien Verfügung.

„Noch bedrückender ist die Situation für Familien“, berichtet Nicole Tauscher von „Stay“. Denn für Kinder gibt es noch weniger Geld. „Ein sechsjähriges Kind bekommt 132 Euro pro Monat und damit 47 Prozent weniger als ein Kind, das Hartz IV bezieht.“ Wie man davon Bücher und Ausflüge oder auch nur ein Malbuch oder Süßigkeiten bezahlen bezahlen soll, weiß die Sozialberaterin nicht. Das Geld reiche oft nicht einmal für Essen - für eine ausgewogene Ernährung schon recht nicht. Dann gebe es eben täglich Reis mit Zwiebeln.

Notfallsituationen wie ein Arztbesuch dürften gar nicht eintreten. Denn die werden nur dann bezahlt, wenn es sich um eine lebensbedrohliche Situation handelt. Ein verletztes Sprunggelenk oder wiederkehrende Bindehautentzündung würden nicht dazugehörten, sagt Tauscher. Dann springe die Flüchtlingsinitiative unbürokratisch ein - und übernehme die Leistungen, für die der Staat eigentlich aufkommen müsste.

Die Zahl der Empfänger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist 2010 im Vergleich zum Vorjahr von 121 000 auf 130 000 und von 789 Millionen auf  815 Millionen leicht gestiegen. Seit 2006 gibt es jedoch einen deutlichen Abwärtstrend. Damals bekamen laut Statistischem Bundesamt  noch  194 000 Asylsuchende für rund 1,165 Milliarden Euro Unterstützung vom Staat.

Die Wände sind schmutzig, über der Tür flackert das Notausgang-Licht. Grün, weiß, grün, weiß. Ganz hinten, am Ende des Ganges ist das Zimmer von Deen aus Afghanistan, er muss es sich mit einem anderen Flüchtling teilen. Ein Schrank, ein Bett, zwei Kochplatten. Das Sofa vom Sperrmüll, der Fernseher geschenkt. Was er nicht hat, ist Privatsphäre. Oder ein ausgefülltes Leben. Denn auch er bekommt 184 Euro im Monat, die er für Essen ausgibt. Und die restliche Zeit? „Die bin ich hier im Zimmer.“ Wo soll er auch hin? Denn alles kostet Geld. „Und in Deutschland ist alles teuer.“

Maike Freund

Quelle: Handelsblatt

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