Allgäuer Zeitung, 22.04.2009

Zimmer mit sechs Betten

Asylpolitik - Bayerischer Flüchtlingsrat hofft auf bessere Lebensbedingungen für Betroffene

Es sind Tränen der Verzweiflung, deretwegen die 43-jährige Tschetschenin ihre Sätze immer wieder unterbrechen muss. Die Mutter von vier Kindern erzählt von einem Zimmer, das sich sechs Menschen teilen müssen, von Kleidung aus zweiter Hand und ihrem bislang unerfüllten Wunsch nach einer Arbeitsstelle. «Acht Jahre die gleichen Essenspakete», sagt sie. So lange lebt sie im Flüchtlingslager. Nun sucht sie eine Vierzimmerwohnung. Bisher vergeblich.

Aber deshalb weint sie nicht. Es seien die Zurückweisungen, die Ausgrenzungen durch das Gesetz. «Das Gefühl, ein Mensch zweiter Klasse zu sein», sagt sie. Bei den Gesprächsrunden des Arbeitskreises Asyl in Kaufbeuren steht der Alltag der Asylbewerber im Vordergrund. Selbst Praktikumsstellen lehne die Behörde für Asylbewerber ab, sagt einer. «Ja, das Ausländeramt geht immer auf Nummer sicher», meint Matthias Weinzierl vom Bayerischen Flüchtlingsrat, «und zwar zuungunsten der Betroffenen».

Die Aktion «LagerInventour» führte den Flüchtlingsrat diese Woche durch Bayern und auch nach Kaufbeuren, wo Gespräche mit Asylbewerbern, Mitgliedern des Arbeitskreises Asyl und Vertretern der Regierung von Schwaben geführt wurden. Der Flüchtlingsrat möchte Verbesserungen erreichen. Morgen soll es dazu im Landtag eine interfraktionelle Expertenanhörung zur Asylsozialpolitik in Bayern geben.

Hauptthema ist dabei die umstrittene dauerhafte Unterbringung von Flüchtlingen in Sammellagern. Vor allem stört sich der Flüchtlingsrat nämlich an Formulierungen in der Bayerischen Asyldurchführungsverordnung, nach der die Unterbringung «die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern» soll. Der Gesetzgeber wolle es den Hilfesuchenden also bloß nicht zu komfortabel machen, so die Kritiker. Der Freistaat mit 118 Flüchtlingslagern hat nach Ansicht des Flüchtlingsrates das rigideste und am weitesten ausgebaute Lagersystem aller Bundesländer: mit Zwangs-WGs, Zimmern mit sechs Betten, Gemeinschaftsküchen und -toiletten, die zum Verlust jeglicher Privatsphäre führen.

Offenbar sind aber die Zeiten vorbei, in denen Mitgliedern des Flüchtlingsrates der Zutritt zu Asylbewerberheimen verwehrt wurde, gesprächsbereite Bewohner Repressalien befürchten mussten. Matthias Weinzierl erlebt viel bei seinen Besuchen in bayerischen Regierungsbezirken. Doch im Kaufbeurer Flüchtlingsheim zeigte er sich von Äußerungen der zuständigen Sachgebietsleiterin bei der Regierung von Schwaben, Gitta Schmid-Göller, positiv überrascht. «Ja, sind wir hier noch in Bayern?», meinte er.

«Es ist nicht alles optimal», sagte Schmid-Göller. Auch sie sehe Handlungsbedarf, etwa eine kinder- und familiengerechtere Unterbringung. Auch über die Verpflichtung, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen, und die Verpflegung müsse gesprochen werden. So ließe sich mit Lebensmittelgutscheinen viel bewegen.

Vor allem die stark zurückgegangenen Asylbewerberzahlen böten Chancen, etwas zu ändern. «Aber wir vollziehen das, was uns vorgegeben wird», so Schmid-Göller.

Das heißt, der Gesetzgeber ist gefordert. Weinzierl erhofft sich von diesem Donnerstag einen großen Schritt zu einer «menschenwürdigen bayerischen Asylpolitik».

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