Mainpost, 03.02.2012
Würzburgs Bischof kritisiert Asylpraxis in Bayern
Nach Suizid-Fall in Würzburger Gemeinschaftsunterkunft
Der Suizid des iranischen Asylbewerbers Mohammad Rahsepar (29) in der Gemeinschaftsunterkunft (GU) in Würzburg wirft auch ein Schlaglicht auf die bayerische Asylpraxis. In der Kritik steht vor allem die zwangsweise Unterbringung von Flüchtlingen in Sammelquartieren. Deutliche Worte dazu findet der Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann auf Fragen unserer Redaktion.
Frage: Herr Bischof, welchen Eindruck haben Sie von der Gemeinschaftsunterkunft in Würzburg bei Ihrem Besuch gewonnen? Sie haben Kritik geäußert...
Bischof Friedhelm Hofmann: Mein Eindruck von der Lebenssituation der Asylbewerber ist neben der Wahrnehmung von guten Ansätzen letztlich doch deprimierend gewesen. Bewohner müssen oft über Jahre hinweg in einem eng begrenzten Bereich leben. Zwar gibt es positive Veränderungen in der Gemeinschaftsunterkunft. Aber nach wie vor leiden Flüchtlinge unter Umständen, die vermeidbar oder zumindest verbesserbar sind. Vor allem ist die Gemeinschaftsunterkunft kein Ort für Kinder.
Wo muss sich aus Ihrer Sicht etwas verbessern?
Bischof Hofmann: Die Aufenthalte der Menschen in der Gemeinschaftsunterkunft müssen unbedingt verkürzt würden. Die Menschenwürde darf nicht auf der Strecke bleiben. Weiter müssen Flüchtlinge während ihres Aufenthalts die Möglichkeit haben, die deutsche Sprache zu erlernen. Und wir müssen die Kinder viel stärker in den Blick nehmen. Wenn Kinder mehrere Jahre in der Notunterkunft aufwachsen, haben sie Schäden davongetragen. Welches Bild prägt sich den Kindern ein, die über eine sehr lange Zeit dort leben?
Haben Sie dazu – wie angekündigt – Gespräche mit der Politik geführt?
Bischof Hofmann: Es gab in Folge meines Besuchs in der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft ein Gespräch mit Mitgliedern des bayerischen Kabinetts. Ausführlich habe ich mich darüber hinaus an Sozialministerin Christine Haderthauer gewandt. Den jüngsten Brief habe ich Frau Haderthauer in dieser Woche nach dem dramatischen Ereignis des Suizids des 29-jährigen Iraners geschickt. Einen Handlungsbedarf habe ich dringend angemahnt.
Wie vertretbar ist aus christlicher Sicht die Asylrechtspraxis in Bayern?
Entspricht sie der Menschenwürde?
Bischof Hofmann: Das Gebot der Achtung der Menschenwürde muss auch bei Flüchtlingen in Bayern gelten. Sie gehören zu den schwächsten und verletzlichsten Mitgliedern unserer Menschheitsfamilie. Wenn ich das Schicksal des 29-jährigen Iraners verfolge, so frage ich mich: Warum wurde es ihm nicht ermöglicht, in diesen schwierigen Lebensumständen wenigstens mit seiner Schwester zusammenleben zu können? Und um ein Beispiel aus dem Lebensalltag der Asylbewerber zu nennen: Zur Menschenwürde gehört auch eine Form des Essens, die der eigenen Kultur und vertrauten Gewohnheiten entspricht. Die Asylpraxis in Bayern hat mit Blick auf die Menschenwürde dringenden Nachholbedarf.
Welche konkreten Forderungen leiten Sie daraus ab?
Bischof Hofmann: Zu dem Genannten fordert die Kirche außerdem eine angemessene medizinische Versorgung mit Diagnose und Behandlung, vor allem von traumatisierten Personen. In Würzburg stehen mit den fachmedizinischen Angeboten der Missionsärztlichen Kliniken sehr gute Möglichkeiten zur Verfügung. Angesichts steigender Zugangszahlen und der Einrichtung neuer Unterkünfte muss auch die Sozialbetreuung in den Blick genommen werden. Nach wie vor besteht eine starke Unterfinanzierung dieses Arbeitsbereichs. Der Zuschuss zu den Personalkosten beträgt faktisch 30 Prozent, 70 Prozent der Kosten werden aus Kirchensteuermitteln finanziert. Und ich will – weil es mich sehr beschäftigt – nochmals das Thema Familie nennen: Kindern sollte von Anfang an ein guter Start in Kindergarten, Schule und Ausbildung ermöglicht werden.
Wie bewerten Sie generell den Umgang mit Flüchtlingen in Bayern?
Bischof Hofmann: In Würzburg sehe ich das Bemühen der Regierung, alles in ihrer Macht stehende zu unternehmen, um die Situation der Asylbewerber erträglich zu machen. Die Unterbringung in einer ehemaligen Kaserne halte ich aber für sehr bedenklich. Ein solches Leben auf engstem Raum ist für Flüchtlinge auf Dauer nicht zu ertragen.
Mischt sich Ihre Kirche konkret in die Asyl- und Sozialpolitik ein?
Bischof Hofmann: Ein Beispiel: Die Kirchen fordern schon seit seiner Einführung im Jahr 1993 die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes, das Asylbewerber bei der existenziellen Grundsicherung massiv benachteiligt. Deshalb findet die Neuberechnung die ausdrückliche Zustimmung der Kirchen, wenn auch das Sachleistungsprinzip bei den Aufwendungen für Asylbewerber grundsätzlich in Frage gestellt wird.
Kirche war für Asylbewerber schon häufiger eine letzte Zuflucht: Können Kirchen fehlenden staatlichen Schutz kompensieren?
Bischof Hofmann: Gotteshäuser können für Asylbewerber in einer äußersten Notlage letzte Anlaufstelle sein. An den Staat können die Kirchen nur appellieren, dass dieser zum Schutz der Flüchtlinge rechtlich und moralisch verpflichtet ist. Große Bedeutung misst die Kirche dem Dienst an den konkreten Menschen zu, die in unserem Land Zuflucht suchen. Der Asylbewerber neben uns ist unser Nächster, dem wir in seiner Not helfen müssen.
Wo kann die Kirche selbst aktiv werden, um Asylbewerbern zu helfen?
Bischof Hofmann: Es gibt sowohl den Einsatz zahlreicher Hauptamtlicher der Caritas als auch das Engagement vieler Ehrenamtlicher, die sich um die Asylbewerber kümmern. Die Missionsärztliche Klinik sorgt sich seit Jahren intensiv und vielfach kostenlos um die medizinische Betreuung der Asylbewerber. Vertreter der Katholischen Hochschulgemeinde, des ökumenischen Asylarbeitskreises oder der Gemeinschaft Sant' Egidio leisten ebenfalls wertvolle Hilfe. Unser Diözesanrat hat bei der jüngsten Vollversammlung appelliert, sich auf Pfarr- und Dekanatsebene für Flüchtlinge zu engagieren. Dort gibt es zahlreiche Initiativen, die ich nur unterstützen kann.
Die Fragen stellte ANDREAS JUNGBAUER