Neues Deutschland, 02.08.2011
Wo absurde Kräfte sinnlos walten
Selbst die UNO kritisiert die Lagerunterbringung von Flüchtlingen – In Bayern ist man anderer Meinung
Die bayrische Landesregierung verabschiedet heute eine gesetzliche Neuregelung zur Lagerunterbringung von Flüchtlingen.
Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat es nicht einfach: Einerseits muss er um seiner Wählerschaft willen bisweilen so ungehemmt daherreden wie ein Rechtspopulist, andererseits muss er den Eindruck erwecken, Deutschland betreibe eine vorbildliche Flüchtlingspolitik. So kann er, wie geschehen, auf öffentlichen Veranstaltungen Flüchtlinge pauschal denunzieren als »massenhaften Zustrom von Migranten, die nicht Schutz, sondern eine bessere Lebensqualität suchen«, und gleichzeitig großspurig ankündigen, man werde durch die Aufnahme von 150 Personen den vielfach von Flüchtlingen in Not aufgesuchten Inselstaat Malta entlasten. Dass es sich bei der Aufnahme der 150 Menschen eher um einen symbolischen Akt oder eine PR-Maßnahme handelt, zeigt die Tatsache, dass man heute den 29jährigen Somalier Mohamed Abdilahi nach Malta abschieben will, wo er sich laut bayrischem Flüchtlingsrat »ein Jahr lang unter katastrophalen Bedingungen in Haft befand«.
Auch Friedrichs Kollege, der bayrische Innenminister Joachim Herrmann (CSU), muss in Menschenrechtsfragen anscheinend wenig Rücksicht nehmen: In Bayern leben rund 8500 Asylsuchende – drei Viertel aller dort befindlichen Flüchtlinge – nach wie vor in Lagern, obgleich selbst die UNO eine solche Unterbringung für menschenrechtswidrig hält. Sachverständige haben nicht nur empfohlen, die sogenannte Lagerpflicht abzuschaffen oder auf höchstens ein Jahr zu begrenzen, sondern auch festgestellt, dass eine dauerhafte Unterbringung in einem Lager die dort zusammengepferchten Menschen früher oder später krank macht. Dennoch wird die Landesregierung heute ein Gesetz verabschieden, das in Bayern eine solche Unterbringung weiterhin als regulär festschreibt.
»Bayern hat die bei weitem härteste Regelung«, sagt dazu Alexander Thal vom Bayrischen Flüchtlingsrat. »Seit 2002 gilt hier die Regel, dass Flüchtlinge unbegrenzt in Lagern untergebracht werden können.« Dass dem heute verabschiedeten Gesetz zufolge der Zeitraum nun auf sechs bis sieben bzw. bei Familien mit Kindern auf zwei bis drei Jahre begrenzt werden soll, ist das Ergebnis eines Kompromisses, den die CSU mit der an der Landesregierung beteiligten Splitterpartei FDP aushandelte. Sämtliche Oppositionsparteien, also SPD, Grüne und Freie Wähler, sind explizit gegen die menschenunwürdige Unterbringung in Lagern.
Thal zufolge haben die meisten Betroffenen jedoch gar nichts von der neuen Regelung. »Der Personenkreis, dem das nutzt, ist sehr klein. Man hat dafür gesorgt, dass viele gar keine Chance haben, in einer Wohnung untergebracht zu werden.« Wenn etwa jemand als »Straftäter« registriert werde, habe er seine Chance auf eine Wohnung verwirkt. Straftäter jedoch wird man in Bayern schneller, als die Polizei erlaubt: Wer beim Schwarzfahren erwischt wird oder den Landkreis verlässt, ist bereits »Straftäter«. Dabei ist zu bedenken: Das Verlassen des Landkreises oder Regierungsbezirks ist, wie Thal im Gespräch betont, »für die meisten Menschen wie Sie und mich gar keine Straftat. Eine Straftat ist es nur für hier lebende Flüchtlinge, denen ein Verstoß gegen die Residenzpflicht vorgeworfen wird.« Und zum Schwarzfahren werden Flüchtlinge, die zumeist fernab einer funktionierenden Infrastruktur zu leben genötigt sind und kaum Bargeld zu ihrer Verfügung haben, regelrecht gezwungen. Personen über 14 Jahren erhalten pro Monat 40 Euro, jüngere bekommen 20 Euro im Monat. Von dieser Summe sollen groteskerweise unter anderem auch die Anwaltskosten, Telefonkosten und die Kosten für den Schulbedarf der Kinder gedeckt werden.
Absurd werde das Ganze durch einen weiteren Umstand, meint Thal: »Überall, wo es eine Unterbringung in Wohnungen gibt, ist es billiger, sagen die Behörden.«
Von Thomas Blum
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