Junge Welt, 26.11.2010
»Wir wollen Geld statt Essenspakete«
Seit einer Woche Hungerstreik in einem Augsburger Flüchtlingslager. Behörden reagieren nicht. Gespräch mit Achmed Eidid
Seit Donnerstag vergangener Woche befinden sich etwa 250 von rund 300 Flüchtlingen, die in einem Augsburger Lager untergebracht sind, im unbefristeten Hungerstreik. Was wollen Sie erreichen?
Wir wollen Geld statt Essenspakete. Es kann doch nicht sein, daß wir nicht selber bestimmen dürfen, was wir essen. Wir haben bei uns im Lager Neusässer Straße keine Privatsphäre, es herrschen katastrophale hygienische Zustände. Es gibt nicht genügend Toiletten – und nur vier Duschen in einem Gemeinschaftsraum für 50 bis 60 Leute. Bis zu sechs Personen müssen in einem Raum leben. Viele von uns vegetieren schon seit Jahren so, das ist menschenunwürdig. Wir brauchen eigene Wohnungen.
Die meisten von uns kommen aus Somalia. Viele haben Kriegsverletzungen, einige sogar noch Kugeln oder Bombensplitter in ihren Körpern. Sie müssen operiert werden, andere benötigen psychologische Hilfe. Die medizinische Versorgung ist aber ungenügend. Man verbietet uns zu arbeiten und demütigt uns, indem man uns mit 40 Euro Taschengeld pro Monat abspeist.
Wir haben keine Bewegungsfreiheit, viele von uns leben seit Jahren hier wie Gefangene. Es kann doch nicht sein, daß wir Strafe zahlen müssen, weil wir einige Meter weiter gegangen sind, als man uns erlaubt. Und wir wollen endlich Deutsch lernen, manche können sich gar nicht verständigen, andere nur auf Englisch, so wie ich.
Bekommen Sie solidarische Unterstützung?
Wir sind mit unserem Protest nicht allein. Mehr als 50 Bewohner des Flüchtlingswohnheims in der Augsburger Calmbergstraße haben ebenfalls begonnen, die Annahme der Essenspakete zu verweigern.
Wie ist es dazu gekommen, daß Sie den Hungerstreik begonnen haben – gab es ein spezielles Erlebnis, das Auslöser war?
Wir hatten den Streik nicht vorbereitet, er begann spontan, Auslöser waren Wut und Hunger. Zweimal wöchentlich werden bei uns Essenpakete angeliefert – wie üblich, auch am Donnerstag vor einer Woche. Plötzlich fingen Leute an, die Pakete wegzuschmeißen und zu rufen: Wir wollen sie nicht mehr, wenn wir nicht essen können, was wir uns selber kochen wollen. Dann beschlossen wir, den Hunger zum Mittel unseres Protests zu machen.
Wie ist die Stimmung unter den Flüchtlingen im Lager nach einer Woche hungern?
Einige von unseren Leuten liegen nur noch regungslos auf dem Bett. Es geht ihnen schlecht. Sie haben keine Energien mehr und sind zu schwach, um sich zu bewegen oder zu sprechen. Sie trinken nur Wasser.
Welche Reaktionen haben Sie bisher auf Ihren Hungerstreik erfahren? Hat man versucht, auf Sie einzuwirken, damit Sie aufhören?
Nein, wir sind schockiert. Bislang hat sich niemand von der bayerischen Landesregierung blicken lassen, um auch nur mit uns zu sprechen. Lediglich einige Journalisten und Fotografen waren hier, um über unseren Streik in den Zeitungen und im Radio zu berichten. Natürlich auch politisch links stehende Organisationen sowie Unterstützer der Flüchtlingsinitiativen. Wir warten noch immer darauf, daß die Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) oder andere Regierungsvertreter mit uns sprechen.
Wer war sonst noch bei Ihnen, Mitarbeiter der Ausländerbehörde oder der Heimleiter?
Nein, niemand – noch nicht einmal der Hausmeister. Er hat an diesem Donnerstag das Essen wieder in einer Halle abgeladen, ohne mit uns auch nur ein Wort zu reden. Was soll er auch sagen? Er persönlich kann sowieso nichts ändern.
Haben Sie Hoffnung, Ihr Ziel zu erreichen? Unter welchen Bedingungen wären Sie bereit, den Hungerstreik zu beenden?
Das Wichtigste ist, daß die bayerische Sozialministerin den Paragraphen 13 in der Durchführungsverordnung Asyl ändert und so die Auszahlung von Bargeld ermöglicht, statt uns mit Essenspaketen abzuspeisen. Über unsere anderen Forderungen müssen wir dann in einen Dialog eintreten können.
Interview: Gitta Düperthal
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