Süddeutsche Zeitung, 22.01.2010

„Wir wollen, dass alle Flüchtlinge inWohnungen umziehen“

Agnes Andrae unterstützt den Ruf nach Auflösung des Lagers in Dachau, fordert aber das Gleiche für alle anderen Einrichtungen in Bayern

Die Forderung einiger Dachauer CSU-Politiker nach einer Auflösung der Gemeinschaftsunterkunft an der Kufsteiner Straße ist nicht überall kritiklos aufgenommenworden. SPD, Jusos, Grüne und Arbeitskreis Asyl monierten, dass der Vorschlag nicht weit genug gehe. Die Dachauer SZsprach mit Agnes Andrae vom Bayerischen Flüchtlingsrat über den Vorstoß und die Situation der Asylbewerber in Bayern.

SZ: Wie beurteilen Sie die Forderung der Dachauer CSU-Politiker?

Agnes Andrae: Ich unterstütze die Forderung nach einer Schließung des Dachauer Flüchtlingslagers, aber diese Forderung allein reicht nicht aus. Die Zustände sind in allen Flüchtlingslagern Bayerns menschenunwürdig und die Flüchtlinge werden überall gezwungen, isoliert zu leben. In den Lagern sind die sanitären Einrichtungen eine Katastrophe: Es herrscht Platzmangel, es ist immer laut, die Luft ist schlecht. In dem Dachauer Lager befinden sich sogar Algen in der Dusche.

SZ: Die Dachauer CSU begründet ihren Vorstoß mit der historischen Situation Dachaus. Der Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath sagte, eine Gemeinschaftsunterkunft in der Nähe des ehemaligen KZs sei ungut. Können Sie diese Argumentation nachvollziehen?

Andrae: Den Asylbewerbern in Dachau geht es wie allen anderen Flüchtlingen in Bayern. Der Lärm und die Enge im Lager macht sie krank. Die Sache ist eigentlich ganz einfach: Alle Lager in Bayern müssen abgeschafft werden, nicht nur das in Dachau.

SZ: CSU und FDP haben Erleichterungen für Flüchtlinge angekündigt. So soll die sogenannte Residenzpflicht gelockert werden und Flüchtlinge nicht mehr jahrelang in Gemeinschaftsunterkünften leben müssen. Wäre das ein Fortschritt?

Andrae: Es wäre natürlich eine Verbesserung, die aber bei weitem nicht ausreicht. Die anderen Fraktionen im Landtag haben längst bessere Vorschläge gebracht. Die Grünen forderten eine komplette Abschaffung der Gemeinschaftsunterkünfte, die Freien Wähler plädierten dafür, dass Sondergruppen sofort, alle anderen nach einem Jahr ausziehen dürfen. Einen ähnlichen Gesetzesentwurf hat die SPD eingebracht.

SZ: Welche Forderungen stellt der Bayerische Flüchtlingsrat?

Andrae: Wir wollen, dass alle Flüchtlinge sofort in Wohnungen umziehen dürfen, und zwar ohne Einschränkungen. Wir haben eine Studie erstellt, dass sich der Freistaat sogar Geld sparen würde,wenn er die Unterkünfte auflöst. Die Residenzpflicht gehört abgeschafft. Und Flüchtlinge sollten sich ihr Essen selbst kaufen dürfen. Bisher können sie nur Pakete  bestellen. Das ist ein Kostenfaktor, weil eine riesige Logistik dahinter steckt.

SZ: Warum?

Andrae: Eine Firma in Baden-Württemberg bearbeitet die Bestellungen und schickt die Pakete nach Bayern, wo sie verteilt werden. Die Flüchtlinge erhalten immer dasselbe, ihre Vorlieben werden nicht berücksichtigt, die Qualität der Lebensmittel ist teilweise schlecht. Das ist menschenunwürdig.

SZ: Kann die Betreuung der Asylbewerber überhaupt sichergestellt werden, wenn sie alle dezentral in Privatwohnungen leben würden?

Andrae: Ja. Das zeigen Beispiele aus anderen Bundesländern. In Leverkusen wird ein solches Modell seit einigen Jahren erprobt. Flüchtlinge werden sofort in Wohnungen untergebracht. Die Wohlfahrtsverbände kümmern sich um die Betreuung. Es funktioniert sehr gut: Die Flüchtlinge lernen schneller deutsch und können sich den Lebensverhältnissen hier besser anpassen. Warum sollte das in Bayern nicht klappen?

Interview: Melanie Staudinger

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