Donaukurier, 26.11.2010

"Wir werden hungern bis zum Tod"

 

Samuel Rufus steht mit den Füßen in einer trüben Brühe. Eine der vier Toiletten in Block E ist verstopft. Nun ergießt sich das Abwasser über einen 20 Meter langen Flur und rinnt bis in die Zimmer. Duschen? Fehlanzeige. Drei von vier funktionieren nicht. Dabei sind insgesamt 64 Flüchtlinge im Block untergebracht. Kochen? Auch in der Küche steht das Wasser. "Sehen Sie, das sind die Verhältnisse hier", sagt der 21-jährige Nigerianer und führt die Reporterin durch die Augsburger Asylbewerberunterkunft Neusässer Straße 206.


Samuel Rufus wohnt mit sechs anderen Flüchtlingen in einem Zimmer, hauptsächlich Somalis, Afghanen und Iraker. Das birgt schon Konfliktstoff genug. Aber der Dreck und die miserablen Zustände lassen in den meisten jungen Leuten die blanke Wut aufsteigen. Jedem Normalbürger würde es den Schweiß auf die Stirn treiben, wenn er hier nur seine Notdurft verrichten müsste. Aber hier wohnen zu müssen, in der Regel mehrere Jahre, bis das erste Asylverfahren abgeschlossen ist?

Das System krankt

So sieht zurzeit der Alltag in bayerischen Asylbewerberheimen aus. "Die Kacke ist am Dampfen", sagt der zuständige Mitarbeiter vom Hochbauamt, der reparieren soll, wo es nichts mehr zu reparieren gibt, weil das System krankt. In Denkendorf (Kreis Eichstätt) hat es vorige Woche angefangen. 25 Bewohner des Flüchtlingslagers haben die Essenspakete verweigert. Am Montag hatten sich in Augsburg im Lager Neusässer Straße 206 schon etwa 200 Flüchtlinge angeschlossen.

Wie viele es wirklich sind, weiß niemand so genau. Dazu ist das Chaos zu groß. Denn aus dem Pakete-Boykott ist inzwischen ein unfreiwilliger Hungerstreik geworden, weil die Flüchtlinge kein mehr Geld haben, um sich Lebensmittel zu kaufen.

In einem der sechs Blocks wird ein Hungerstreikender zur Toilette begleitet. Er ist sichtlich geschwächt und zieht sich wieder ins Bett zurück. Das BRK hat inzwischen Räume ausgewiesen, in denen die Hungerstreikenden zwei Mal am Tag "auf Vitalfunktionen" untersucht werden sollen. Am Abend kommt zum ersten Mal der Arzt zur Visite. "Das Problem ist das Trinken. Da wo sie herkommen, trinkt man nicht aus der Leitung", sagt der Bereitschaftsleiter. Die Versorgung mit Mineralwasser lehnt der Heimleiter aus Kostengründen ab. Wenige Stunden zuvor soll bereits ein Asylbewerber ins Krankenhaus gebracht worden sein.

Die Lage erinnert an einen Gefängnisstreik, so aufgeheizt ist die Atmosphäre und so dramatisch sind die Zustände. "So wie jetzt war es noch nie", sagt der Hausmeister, der die zunehmende Verwahrlosung in der Unterkunft beklagt. "Ich bin absolut überfordert", sagt er. Er schiebt den Asylsuchenden die Schuld zu. "Wenn Sie ein paar Randalierer in der Gruppe haben, dann kippt die Stimmung", meint er.

Früher herrschte ein strenges Belohnungssystem, bei dem man sich "Erleichterungen" verdienen konnte, sagt der Hausmeister. Das war vor vier Jahren, als noch etwa 80 Asylsuchende im Heim wohnten. Doch in den vergangenen Monaten ist die Zahl der Flüchtlinge "sprunghaft angestiegen" – auf 450 sagen die Flüchtlinge, auf 380 sagt die Regierung von Schwaben. Niemand kennt die Zahl so genau, sie nimmt nur ständig zu und mit der Überfüllung die Verwahrlosung in den Lagern.

Vertreter der Regierung von Schwaben sind im Heim eingetroffen. "Wir haben ja Verständnis für das Anliegen der Asylbewerber, aber wir können uns den Zustand nicht aussuchen, wir vollziehen geltendes Recht", sagt Regierungssprecher Karl-Heinz Meyer und erklärt, dass in Bayern das Sachleistungsprinzip anstelle von Barzahlung herrscht. Das heißt, der Freistaat versorgt die Asylbewerber mit Lebensmittelpaketen, um potenziellem Missbrauch mit Bargeld vorzubeugen. 7000 Asylsuchende und Geduldete sind nun von Staats wegen gezwungen, von Paketen zu leben, in denen sich auch verderbliche Waren mit überschrittenem Verfallsdatum befinden oder Essen, das nicht der traditionellen Esskultur entspricht.

Nur schlafen und essen

Aber die Essenspakete sind nur die Spitze des Eisberges. Vor zwei Jahren ist Samuel Rufus aus Nigeria nach Deutschland gekommen. Die Zustände in seinem Land ließen ihm keine andere Wahl, sagt er. Er hoffte, eine reelle Chance zu haben in dem neuen Land, die Sprache zu lernen und eine Arbeit zu finden. "Man lässt uns aber nur schlafen und essen, schlafen und essen. Das macht den Kopf kaputt." Rufus will für sich selbst sorgen.

So wie ihm geht es vielen der ausschließlich jungen Männer in der Neusässer Straße, zumindest denen, die das Gespräch suchen und sich entweder auf Englisch oder in gebrochenem Deutsch verständlich machen.

Die zwangsweise Lagerunterbringung macht ihnen zu schaffen. "Sie macht uns nutzlos", sagt Samuel Rufus. Neben ihm steht Ibrahim Nabas, ein Iraker, der seit vier Jahren im Lager festsitzt. "Wir wollen Bewegungsfreiheit und an einem menschenwürdigen Ort wohnen", sagt er. Im Juni hatte der bayerische Landtag die Lockerung der strikten Lagerpflicht beschlossen. Die Untätigkeit der Staatsregierung bei der Umsetzung des Beschlusses macht die Männer wütend. "Sagen Sie den Politikern, sie sollen sich das hier anschauen", sagt Ibrahim. "Glauben Sie, dass wir unser Leben genießen" Er sagt es mit einer Bitterkeit, die nur noch von seiner Verzweiflung übertroffen wird. "Wir werden weiterhungern bis zum Tod", sagt Samuel Rufus. "Sie zwingen uns dazu."

Von Gabriele Ingenthron

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