Erlanger Nachrichten, 21.12.2011

„Wir lassen uns die gute Zusammenarbeit nicht kaputtmachen“

EN-Interview mit OB Siegfried Balleis und Rechtsreferentin Marlene Wüstner zur Affäre um die Vorgehensweise im Ausländeramt

„Wir müssen versuchen, unter vernünftigen Menschen wieder zu einem Konsens zu kommen“: Oberbürgermeister Siegfried Balleis (2. v. l.) und Rechtsreferentin Marlene Wüstner beim Interview in der EN-Redaktion. Foto: Bernd Böhner

 

Herr Balleis, Erlangen schmückt sich mit dem Motto „Offen aus Tradition“. Nun urteilt der Bayerische Flüchtlingsrat, es gebe „keine andere Stadt in Bayern, die mit derartiger Härte gegen Flüchtlinge vorgeht“. Sind Sie darüber nicht bestürzt?

Siegfried Balleis: Eindeutig ja, wenn es eine Einschätzung wäre, die auch tatsächlich empirisch nachgewiesen wäre, dann würde mich das bestürzt machen. Ich behaupte aber, das ist mit Sicherheit nicht der Fall.

Im angeprangerten Fall hat die Polizei mitten in der Nacht eine Familie abholen wollen. Ein Mitarbeiter des Ausländeramts war wohl auch dabei?

Marlene Wüstner: Ja.

Es stellte sich heraus, dass der Familienvater nicht da war. Wäre das nicht Anlass gewesen, die Abschiebung der Familie auszusetzen?

Balleis: Im Bereich Asyl werden die Mitarbeiter der Stadt für den Bund und das Land tätig und nicht in eigener Verantwortung. Die rechtliche Lage ist so: Wenn ein Kind nicht da wäre, würde die Abschiebung abgebrochen werden; wenn aber ein Ehepartner sich absentiert hat, wird nicht abgebrochen — sonst könnten die Betroffenen jede Abschiebung leicht unmöglich machen. Wir haben das ja schon öfter erlebt.

War es der Ausländerbehörde bekannt, dass der Vater nicht in der Unterkunft war?

Wüstner: Nein.

Der Rechtsanwalt hat eine andere Version. Er beruft sich auf ein Schreiben der Regierung, demzufolge die Abwesenheit bekannt war.

Wüstner: Ich weiß von meinem Mitarbeiter, dass dies nicht bekannt war. Geplant war danach, den Mann mit der Familie zusammenzuführen. Doch die Slowakei lehnt die Aufnahme bisher ab, obwohl der Flug schon gebucht war.

Die Flüchtlingsvertreter kritisieren, dass der vorhandene Ermessensspielraum in Erlangen gegen die Betroffenen ausgelegt wird. Beispiel: Ein Flüchtling wurde trotz Reisezusage abgeschoben, dann im Iran gefoltert, ehe ihm nochmals die Flucht gelang und er als Asylbewerber anerkannt wurde. Und es gibt vergleichbare Fälle. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hob einen Bescheid sogar auf. Und einer Frau, einem Folteropfer, wurde untersagt, sich in einem Zentrum zur Behandlung von Folteropfern am Bodensee behandeln zu lassen. Passt das zu „Offen aus Tradition“?

Wüstner: Aus heutiger Sicht fragen Sie natürlich zu Recht: Warum lässt man einem so traumatisierten Menschen diese medizinische Versorgung nicht zukommen? Es ging einfach um die Reisetauglichkeit der Frau und die Frage der Kostenübernahme. Auch von den angefragten Unterstützern, an die wir uns wandten, gab es keine Antwort. Kurz: Die relevanten Fragen konnten nicht geklärt werden.

Balleis: Man darf auch nicht übersehen: Die auf der Pressekonferenz erhobenen Vorwürfe und die vorgetragenen Fälle sind uns in keinster Weise angezeigt worden. Wir haben in der Vergangenheit viele Gespräche geführt und mit dem Ausländer- und Integrationsbeirat immer fair, gut und vertrauensvoll zusammengearbeitet.

Sind die kritisierten Fälle an Sie herangetragen worden?

Balleis: Definitiv nein.

Wüstner: Es gibt Gesprächsrunden, aber ich persönlich bin nicht im Ausländerbeirat. Da hätten beide Seiten möglicherweise eine bessere Kommunikation pflegen können. Das räume ich durchaus ein.

Eben weil der Vorsitzende des Ausländerbeirats ein Mann des Ausgleichs ist: Gibt es da nicht umso mehr zu denken, wenn er offenbar keinen anderen Weg mehr sieht, als mit den anderen Organisationen an die Öffentlichkeit zu gehen?

Balleis: Dies kann ich so nicht bestätigen. Aber der Ausländerbeirat und sein Vorsitzender Ortega haben die Pressekonferenz ja nicht organisiert, sondern er ist quasi erst auf den letzten Metern hineingezogen worden. Um das klar zu sagen: Das ist am Ausländerbeirat vorbeigelaufen. Wir lassen uns die gute Zusammenarbeit, die über Jahrzehnte gewachsen ist, von einigen wenigen nicht kaputtmachen. Das ganze Procedere erweckt ja den Eindruck, dass die gute Zusammenarbeit schon etwas mutwillig aufs Spiel gesetzt wird.

Legen Sie denn für den kritisierten Mitarbeiter die Hand ins Feuer?

Balleis: Da müsste ich Frau Wüstner fragen. Sie ist näher dran.

Wüstner: Ich habe natürlich intensiv mit dem Mitarbeiter gesprochen. Zum einen, weil ich wissen wollte, wie er selber damit klar kommt. Zum anderen, weil ich wissen wollte, was ist an der Sache dran. Klar ist: Der Gesetzesvollzug stellt an die Mitarbeiter fachlich wie menschlich hohe Anforderungen. Sie müssen Menschen auffordern, dieses Land zu verlassen. Er muss hingehen und sagen: „Jetzt wird eingepackt! Euer Flugzeug geht in fünf Stunden.“ Da wird er mit weinenden Menschen konfrontiert, mit Menschen, die sagen: „Ich will aber nicht zurück!“. Und er muss es aushalten. Sie müssen da einen Mitarbeiter haben, der das auch wirklich aushalten kann.

Im Internet werden die Vorwürfe breit diskutiert. Da wird suggeriert, dass der Chef des Mitarbeiters, der schon mal im Ausländeramt war, aus dem Rechnungsprüfungsamt wieder zurückgeholt worden sei, weil er ein „harter Hund“ sei. Da wird suggeriert, dass der kritisierte Mitarbeiter von seinem Amtsleiter in seinem Vorgehen unterstützt und gedeckt wird.

Wüstner: Das ist der normale Weg, den man als Beamter macht, erst an einer Stelle, dann bei der Rechnungsprüfung, von dort in die Leitung des Ausländeramtes. Aus dem Amt selber in die Leitung aufzusteigen, wäre eher ungewöhnlich. Insofern hat das keinesfalls den von Ihnen unterstellten Hintergrund.

Die Fronten sind verhärtet. Was nun, Herr Balleis?

Balleis: Verhärtet ist eine nicht angemessene Beschreibung. Wir werden dort wieder anknüpfen, wo wir jahrzehntelang sehr gut zusammengearbeitet haben. Es kann ja wohl nicht sein, dass dies auf Grund einer Überreaktion Einzelner zunichte gemacht wird, auch wenn es um den Bayerischen Flüchtlingsrat und Amnesty International geht; die großen Namen allein beeindrucken mich da nicht. Es geht darum, wie wir vor Ort miteinander arbeiten. Und das war in der Vergangenheit vorbildlich. Und auf diesem Weg wollen wir weiter gehen. Wir müssen versuchen, unter vernünftigen Menschen wieder zu einem Konsens zu kommen — das ist es ja, was Erlangen auszeichnet.

Interview: RALF H. KOHLSCHREIBER/ HANS PETER REITZNER/ PETER MILLIAN/ EGBERT M. REINHOLD

Quelle: Erlanger Nachrichten

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