Coburger Tageblatt, 01.03.2011
"Wir können doch nicht die ganze Welt retten!"
Als zu Beginn des letzten Einspielfilms bei Anne Will am Sonntagabend plötzlich das Ebersdorfer Ortsschild eingeblendet wird und der Name der Gemeinde fällt, lässt das so manchen in der Region aus seinem sonntagabendlichen Polittalk-Sekundenschlaf hochfahren. Was, bitte schön, sollte denn die - des internationalen Terrorismus' bis dato eher unverdächtige - Kommune mit dem Volksaufstand in Libyen zu tun haben? Mit toten Regimegegnern und Despot Muammar Gaddafi?
Ach ja: Ganz am Rande geht es bei der Diskussion auch um Flüchtlinge.
Und beim Thema politisch Verfolgte, die in Deutschland womöglich Asyl beantragen und irgendwo unterkommen müssen - da ist die Verbindung zu Ebersdorf hergestellt. Mehr oder weniger jedenfalls. Die Moderatorin leitet um 22.34 Uhr zum Beitrag über, indem sie fragt: Sind wir vorbereitet auf das, was vielleicht an Flüchtlingsströmen über uns zusammenschwappt?
Einer, der im Kurzbeitrag kurz zu Wort kommt, ist Bürgermeister Bernd Reisenweber (FW).
Wie die ARD-Redaktion gerade auf Ebersdorf gekommen ist, wo es doch bundesweit zig Städte und Kommunen mit Asylunterkünften gibt? "Uns wurde gesagt, man sei aufgrund der jüngsten Berichterstattungen aufmerksam geworden", sagt Reisenweber dem Tageblatt. Schließlich hatte sich sogar die Frankfurter Allgemeine Zeitung der Kommune angenommen, nachdem die Meldungen vom Bürgerprotest laut wurden - und von der Absicht, die 130 Bewerber Landkreis-übergreifend aufzusplitten.
Bloß nicht in die Buh-Ecke
Dass Ebersdorf sich dann im Themenkreis von Gaddafis Mord und Totschlag wiederfindet, hat das Gemeindeoberhaupt im Nachhinein erstaunt. "Mir ging es vor allem darum, dass wir nicht wieder in der Buh-Ecke landen. Es hätte mich gefreut, wenn das - zugegeben komplexe - Problem kleiner Kommunen in der Asyldebatte etwas tiefer beleuchtet worden wäre. Aber das ließ sich in der Kürze der Sendezeit wohl nicht umsetzen."
In dem knapp zweiminütigen Einspieler darf als einer der Betroffenen Karl-Heinz Stegner seinen Unmut äußern. Der Anwohner ist einer der Initiatoren eines Briefes an die Regierung von Oberfranken, in dem 70 Bürger mit ihrer Unterschrift die Rücknahme der Entscheidung für die zentrale Unterbringung von 130 Asylbewerbern in Ebersdorf fordern.
Derweil flicht der Hintergrundsprecher ein, dass im Landkreis Coburg eigentlich keine Fremdenfeindlichkeit herrsche.
Trotz ihrer Aufnahmebereitschaft bekunden einige Bürger jedoch unisono: "Wir können doch nicht die ganze Welt retten und ihr bei uns Zuflucht gewähren." Wohl wahr.
In der anschließenden Diskussion in der Will'schen Runde geht dann aber keiner der Gäste auf den Bericht ein. Philipp Mißfelder (CSU) streift die Äußerungen der Ebersdorfer nur kurz, indem er von der "Festung Europa" spricht und davon, dass Libyens Probleme nicht auf dem europäischen Kontinent zu lösen seien. Eine Lösung für Gemeinden wie Ebersdorf in der Flüchtlingsfrage hat er ebenso wenig parat wie die Mitdiskutanten Jürgen Trittin (Grünen-Fraktionschef), Roger Klöppel (Herausgeber der Schweizer "Weltwoche"), die deutsch-iranische Korrespondentin Golineh Atai und Klaus Töpfer, Gründungsmitglied des Instituts für Klimawandel, Erdsystem und Nachhaltigkeit.
Zu komplex für den Sonntagabend
"Das war schon kurios, dass wirklich niemand das konkrete Beispiel Ebersdorf aufgriff", zeigt sich Reisenweber verwundert. Zumal die Gemeinde mit ihrem Ansinnen der dezentralen Unterbringung von Flüchtlingen zumindest in Bayern Modellcharakter besäße. Das aber hätte mehr Recherche vorausgesetzt als ein paar Aufnahmen von Kirche und Tankstelle sowie der Kurzeinblendung von Bewohnern mit Transparenten. Offenbar sind die wahren Hintergründe wirklich zu komplex für Sonntagabend 21.45 Uhr.
Jochen Nützel
Quelle: Coburger Tageblatt