Süddeutsche Zeitung, 08.10.2012
Willkommen in Zirndorf
Das Lager ist derart voll, dass Flüchtlinge in Zelten hausen müssen. Bis sie in andere Unterkünfte weiterziehen, können drei Monate vergehen
In die Erstaufnahmeeinrichtung nach Zirndorf? Der Mann am Fürther Hauptbahnhof stutzt kurz und dann muss er es einfach sagen: "Da werden Sie keinen Platz bekommen." Es ist kein richtiger Scherz, Zynismus eher. Längst hat sich herumgesprochen, dass das Lager in der mittelfränkischen Kleinstadt mit Sitz der Verwaltung des Landkreises Fürth dermaßen überfüllt ist, dass das Rote Kreuz Zelte aufstellen musste. Wer an der Einrichtung ankommt, mit dem Bus zum Beispiel, wie die Asylbewerber, die jeden Tag irgendwo in Deutschland eine Fahrkarte in die Hand gedrückt bekommen, damit sie sich auf den Weg machen nach Mittelfranken, der sieht die notfallgrauen Zelte schon. Gleich rechts, hinter dem hohen Zaun. Sechs Zelte, darin je zwölf Feldbetten, Lampe, Heizung. Sonst nichts. Kein Schrank, keine Privatsphare. Mit den fünf hellgrünen Plastik-Klohäuschen gegenüber ist die Behelfsunterkunft für gut 70 Menschen komplett.
"Ich bin hin- und hergerissen", sagt Werner Pfingstgraef von den Rummelsberger Anstalten, der zum Sozialdienst im Lager gehört. Optimal sei es nicht, schließlich wird es bald kalter und eng ist es auch in den Zelten. Andererseits werde dann wieder mehr Platz in der Kapelle und der Cafeteria sein. Dort findet das bisschen Abwechslung statt, das den Lageralltag aufhellt, in der Kapelle gibt es Deutschkurse, in der Cafeteria treffen sich die Frauen zum Stricken. "Das sind Dinge, die den Alltag ein bisschen verändern", sagt Pfingstgraef, "die ein Stuck Insel geben."
Normalerweise zumindest. Wenn höchstens 500 Leute in der Einrichtung leben und nicht mehr als 700 wie zurzeit. In der Kapelle St. Paulus haben sie die Kirchenbänke an den Rand geschoben, damit Platz ist für Matratzen. Das Weihwasserkesselchen neben der Tür ist leer, es riecht nach Schweiß und zu vielen Menschen. Ein bisschen wie früher im Schullandheim. Nur, dass es hier keiner aufregend findet, mit möglichst vielen im Matratzenlager zu schlafen. Auf einer umgedrehten Kirchenbank steht ein halb volles Babyfläschchen.
In der Cafeteria haben sie Glück, wer dort wohnt, hat sogar Wasser aus dem Spülbecken. Im muslimischen Gebetsraum stehen eiserne Stockbetten für die Männer. Dabei wollten sie gerade renovieren, frische Farbe an die Wände und ein Teppich, zwei Moscheevereine aus Nürnberg haben das Geld gespendet.
"Wir hecheln der Situation hinterher", sagt Robert Busse, der zuständige Mann der Regierung von Mittelfranken. Er ist nicht der einzige, der das Problem gar nicht in Zirndorf, sondern im restlichen Bayern sieht. Denn wäre anderswo mehr Platz in den Gemeinschaftsunterkünften und würden Landkreise und Städte mehr Wohnraum bereitstellen, könnten die Asylbewerber schneller weg aus Zirndorf. Zwei Wochen waren ideal, aber viele bleiben drei Monate. Das ist die maximale Aufenthaltsdauer. Das liegt zum einen daran, dass die Staatsregierung Unterkünfte zumachte und Personal abbaute, als die Flüchtlingszahlen vor sechs, sieben Jahren zurückgingen. Die Strukturen fehlen heute. Zum anderen weigern sich viele Kommunen, Asylbewerber aufzunehmen.
So voll sei es in Zirndorf seit 20 Jahren nicht gewesen, sagt Pfingstgraef, um die 5000 Menschen werden das Lager in diesem Jahr durchlaufen. Nicht nur die Schlafplätze sind knapp, auch die Mitarbeiter arbeiten bis zur Erschöpfung. Die Ärzte in Zirndorf können sich nicht mehr um alle Asylbewerber kümmern, der Psychologe, der regelmäßig vorbeischaut, hat Wartezeiten von sechs bis acht Wochen.
Seit fünf Jahren kommen wieder mehr Asylbewerber nach Bayern, im vergangenen Jahr waren es etwa 7000. Unerwartet reisten in den vergangenen Monaten besonders viele Menschen aus Serbien und Mazedonien ein - Länder, die als sicher gelten, weswegen die Asylbewerber nahezu keine Aussicht haben, dass ihrem Antrag stattgegeben wird. Innenminister Joachim Herrmann fordert schon Asyl-Schnellverfahren, da die Menschen, überwiegend Roma, vor allem auf Geld aus seien. So sei die Zahl angestiegen, seit das Bundesverfassungsgericht Asylbewerbern mehr Geld zugesprochen hat.
"Wir fragen nicht nach den Gründen", sagt Erwin Bartsch von der Kirchengemeinde St. Rochus, der sich seit Jahren um die Asylbewerber kümmert. Er überlegt lieber, wo er eine Deutschklasse einrichten könnte. Im Gebetsraum der Orthodoxen vielleicht. Wenn die Matratzen weg sind.
Von Katja Auer