Nürnberger Zeitung, 05.02.2011

Wieder mehr Flüchtlinge in Zirndorf

Graues Heim, bunte Träume: Besuch in der Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber


Fußgänger kommen erst nach einer Kontrolle aufs Gelände, ankommenden Fahrzeugen öffnen die Pförtner nur bei Berechtigung das Tor. Die Gebäude sind in die Jahre gekommen, die bescheidene Sportanlage öffnet erst am Nachmittag. Die Zentrale Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber am Rande von Zirndorf ist eine eigene Welt für sich – und das erste Zuhause für Flüchtlinge aus aller Herren Länder.

Ein Ort, viele Nationen

Das große Verwaltungsgebäude direkt am Eingang hat den Charme eines Parkhauses. Keine Bilder, keine Verzierungen schmücken die Wände des langen Ganges im Erdgeschoss. Zweckmäßig sind Ausstattung und Mobiliar – und auch die Büroeinrichtung im Zimmer von Leiter Werner Staritz hat ihre besten Tage hinter sich.

Beengt seien die Verhältnisse in der Zirndorfer Einrichtung, berichtet der Leiter: „Wir haben eine Kapazität von 500 Personen, derzeit sind jedoch an die 560 Menschen hier untergebracht.“ Bis zu acht Personen müssen sich ein Zimmer teilen. Die Familienzimmer in den zwei eigenen Häusern auf dem Gelände sind so ausgelastet, dass Väter mitunter dort keinen Platz haben und bei den alleinstehenden Männern schlafen müssen. Die Flüchtlinge kommen unter anderem aus Afghanistan, aus dem Irak, den ehemaligen GUS–Staaten oder aus Afrika – unterschiedliche Kulturkreise und Lebensvorstellungen prallen in Zirndorf aufeinander.

Viel Zündstoff also, doch sagt Staritz: „Gottseidank gibt es kaum Ärger. Die Leute merken, dass sie zusammenrücken müssen.“ In den vergangenen Jahren hat die Zahl der Asylbewerber stetig zugenommen (siehe Stichwort). Der Zustrom halte die Behörden auf Trab: „Vier bis sechs Wochen nach der Antragstellung werden die Leute auf andere Unterkünfte verteilt. Wir müssen schauen, dass wir Platz schaffen.“

Um die beengte Situation in Zirndorf und München zu verbessern, soll eine dritte Erstaufnahmeeinrichtung eingerichtet werden. „Das Sozialministerium prüft mehrere Standorte“, so Pressesprecherin Sabine Knödl. Eine Entscheidung solle noch in der ersten Jahreshälfte getroffen werden.

Das große Warten – eine Tortur für Kinder

Unterkunft, Verpflegung, organisatorische Fragen des Asylverfahrens: das sind die Aufgaben der Mitarbeiter der Erstaufnahmeeinrichtung. Doch die Flüchtlinge haben noch andere Belange: Wer ist da in Momenten der Verzweiflung? Wie kann ich Kontakt mit meiner Heimat aufnehmen? Wo kriege ich neue Kleidung? Wer bringt mir Deutsch bei? Helfen können Werner Staritz und seine Mitarbeiter hier nicht: „Unsere Personalkapazität ist dafür zu eng.“ Diese Aufgaben übernehmen vier andere Träger: der Caritasverband Nürnberg, das Diakonische Werk Schwabach, die evangelische Kirchengemeinde St.Rochus in Zirndorf und die Rummelsberger Dienste für junge Menschen. Staritz ist dankbar für die Unterstützung: „Das ist eine sehr wichtige Arbeit.“

Das Sozialzentrum mit der Cafeteria und dem Kindergarten ist der einzige Ort auf dem Gelände, das einen Gemeinschaftsraum und eine Kinderbetreuung anbietet. Die meisten Asylbewerber seien zunächst voller Tatendrang, berichtet Erwin Bartsch von der Asylgruppe St.Rochus: „Sie haben eine große Motivation, sind neugierig und wollen unsere Sprache und Kultur kennenlernen.“ Doch die Ernüchterung folge rasch. „Die Erwachsenen dürfen nicht arbeiten, die Kinder haben während der Unterbringung in Zirndorf noch keine Schulpflicht. Die Menschen werden verwaltet, geparkt und dann auf andere Heime verteilt“, sagt der Gemeindepädagoge, der mit seiner Gruppe ehrenamtlicher Helfer regelmäßig für die Asylbewerber da ist.

„Abrakadabra Simsalabim!“ Im Sozialzentrum hat sich Manfred Heidemann, einer der etwa 20 Ehrenamtlichen der evangelischen Asylgruppe St.Rochus, einige Kinder geschnappt und bastelt mit ihnen. Ein Papierclown wird angemalt und ausgeschnitten. Die Figur balanciert erst dann elegant auf dem Finger, wenn man den Zauberspruch sagt – und auf der Rückseite Centstücke angeklebt hat, damit die Konstruktion genug Gewicht hat. „Gut?“, fragt ein Mädchen den 62-Jährigen. Manfred Heidemann nickt, und die kleine Gruppe bastelt weiter.

Tüfteln, knobeln, zaubern, mit der Schwerkraft experimentieren und nebenbei etwas Deutsch lernen – regelmäßig ist Heidemann für die Asylbewerber da. Besonders die kleinen Bewohner liegen ihm am Herzen: „Es ist schlimm, wenn die Kinder versauern. Sie sind doch unsere Zukunft!“

Kinderbild mit Bomben

Manfred Heidemann ist immer auf der Suche nach neuen Spielen, die nicht im Laden zu kaufen sind: „Ich nehme nur einfache Materialien, damit die Kinder das selbst nachbauen können.“ Und so sammeln die Mitglieder der Asylgruppe St. Rochus Joghurtbecher, Pappkartons oder Papierrollen. Denn Heidemann, der sich gerne auch mit den erwachsenen Flüchtlingen zum Backgammon trifft, weiß: „Die Sprachbarriere überwindet man am besten, wenn man eine Aktion wie ein Spiel anbietet.“

An den Fenstern kleben farbenfrohe Zeichnungen, von der Decke baumeln selbst gebastelte Blumen und Herzen, das Zimmer ist voller Spielzeug: Ein liebevoll geschmückter Bereich im Sozialzentrum ist den Kindern vorbehalten. Vergnügtes Lachen: Mädchen basteln, einige Jungen spielen zusammen in der Kinderbetreuung des Caritasverbandes Nürnberg. Ein Mädchen mit dunklen Zöpfen hat sich eine ruhige Ecke gesucht und legt sanft eine Puppe in einen Kinderwagen. „Die Familien sind froh, dass wir da sind“, erklärt Rosi Wanko, die Leiterin der Kinderbetreuung.

Hin und wieder erhält sie kleine Zeichen, dass die Kinder mitunter Schreckliches erlebt haben: Zeichnungen, die Schießereien oder Bombenangriffe zeigen. Oder Mädchen und Jungen, die extrem verschüchtert oder aggressiv sind. „Wir hatten ein Kind hier, das miterleben musste, wie sein Vater erschossen wurde.“ Die kleine Puppenmama in der Ecke will immer noch nicht bei den anderen Mädchen sein – obwohl Rosi Wanko sie dazu ermuntert, doch mitzuspielen. Die Kleine mit den niedlichen Zöpfen sei wohl einfach nur schüchtern, sagt Wanko: „Wenn ich merke, dass die Kinder schlimme seelische Verletzungen haben, dann versuche ich, Fachdienste hinzuzuziehen.“

Nur wenige Wochen bleiben die Flüchtlinge in Zirndorf – und bekommen dann eine neue Unterkunft in Bayern zugewiesen. Für die Helfer in Zirndorf ist es eine anspruchsvolle Aufgabe, sich auf die Gegebenheiten in der Erstaufnahmeeinrichtung einzulassen. „Es herrscht ein ständiger Wechsel, man muss immer wieder das Vertrauen der Menschen gewinnen. Oft bleibt keine Zeit, auf Wiedersehen zu sagen – das muss man vertragen“, stellt Gemeindepädagoge Erwin Bartsch fest.

Immer wieder kommt es vor, dass Träume und Hoffnungen zerplatzen wie Seifenblasen – wenn etwa schwer kranke Flüchtlinge glauben, in Deutschland Heilung zu finden: „Wunder gibt es auch bei uns nicht.“

Aber es gibt auch Lichtblicke, wie Bartsch ergänzt: „Manchmal besuchen uns ehemalige Asylbewerber einige Jahre später und erzählen, wie es ihnen ergangen ist. Es ist schön, zu hören, wenn jemand eine Stelle gefunden hat oder eine Ausbildung beginnen kann – das können wir in der Regel einfach nicht mitverfolgen.“

Sabine Ebinger

Quelle: Nürnberger Zeitung

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