Münchner Merkur, 02.07.2005

Weinkrampf am Flughafen

Freistaat schiebt Familie ab - Suizid-gefährdete Mutter kam direkt aus Psychiatrie

Münchner Merkur: Erwin Bartsch hat resigniert. Der evangelische Gemeindepädagoge aus dem mittelfränkischen Zirndorf hat bis zuletzt gekämpft, dass die sechsköpfige Familie Avdija doch noch in Bayern bleiben kann - zumindest so lange, bis die schwer traumatisierte Mutter Eljheme (39) einigermaßen wiederhergestellt ist. Doch am Ende des gestrigen Tags, an dem sich die Ereignisse überschlagen hatten, wurde die Familie offenbar doch mit einem eigens gecharterten Flugzeug nach Slowenien abgeschoben.

Die Familie Avdija gehört zum Stamm den Ashkali, einer Minderheit im Kosovo. Nach zunehmenden Übergriffen von albanischen Nationalisten flieht die Familie im Februar nach Slowenien, wo sie Asylantrag stellt. Laut Bartsch wird die psychisch angeschlagene Mutter dort im Flüchtlingslager nicht behandelt, außerdem soll die älteste Tochter Zeynepe (16) von Männern aus dem Lager zur Prostitution gezwungen werden. Deshalb flüchtet die Familie nach Deutschland, doch ein erneuter Asylantrag wird abgelehnt. Vater Aziz (37) sitzt zwischendurch wegen Fluchtgefahr in Haft, Mutter Eljheme nach zwei Suizidversuchen im Bezirkskrankenhaus. Freitag früh wird die Familie zum Münchner Flughafen gebracht, doch kurz vor dem Flugzeug bekommt die Mutter auf dem Rollfeld einen Weinkrampf und Kreislaufprobleme. „Der Pilot des Linienflugzeugs hat sich deshalb geweigert, sie mitzunehmen", sagte ein Polizeisprecher.

Mit einem eigens gemieteten Flugzeug wird die Familie offenbar Freitagabend doch noch ausgeflogen, wie die Regierung von Mittelfranken bestätigt. „Die Transportfähigkeit der Frau wurde von den behandelnden Ärzten bestätigt", sagt Regierungssprecher Bodo Domröse. Man habe alles getan, um auf die Situation Rücksicht zu nehmen. Die Landtags-Grünen, die das „brutale Vorgehen" scharf kritisieren, befürchten nun, dass die Familie von Slowenien weiter in den Kosovo abgeschoben wird.

Knallhart-Image verteidigt

Kommentar

Es gab keine Gnade: Nach zwei Suizidversuchen, voll gepumpt mit Beruhigungsmitteln, wird eine vierfache Mutter direkt aus dem Bezirkskrankenhaus mit ihrer Familie abgeschoben. Als sie am Flughafen zusammenbricht und der Pilot sich weigert, die Familie auf seinem Linienflug mitzunehmen, wird Kurzerhand ein eigenes Flugzeug gechartert. Hauptsache, die Familie ist weg, so die Devise des Freistaats.

Dass die Behörden dem Papier nach keinen Spielraum haben, ist klar: Die Familie aus dem Kosovo hat zuerst in Slowenien Asylantrag gestellt, deshalb ist das Land auch zuständig. Wo kämen wir hin, wenn alle Asylbewerber nach der ersten Antragstellung nach Gutdünken in ihr Lieblingsland weiterreisen? Zwar ist Slowenien nicht Deutschland, die Zustände in den dortigen Unterkünften sicher nicht mit den hiesigen vergleichbar. Doch gehört das Land zur EU, und das ist entscheidend.

Es geht aber auch um Menschlichkeit, und da haben sich die Verantwortlichen nicht mit Ruhm bekleckert. Offenbar musste das Knallbart-Image des Freistaats um jeden Preis bewahrt werden. Es wäre sicher kein Zeichen von Schwäche gewesen, wenigstens noch einige Tage zu warten, ob sich die Situation der Frau bessert. Dann wäre die Ausweisung immer noch möglich gewesen, vielleicht billiger als jetzt. So bleibt nur Kopfschütteln über soviel Gefühlskälte.

Boris Forstner

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