Süddeutsche Zeitung, 05.11.2012

Vorsicht, Sie betreten Deutschland!


Vor dreißig Jahren gab es einen Bundesinnenminister von der CSU, der, wie der heutige, Friedrich hieß, damals mit Vornamen. Friedrich Zimmermann begriff Ausländer als Störer und Flüchtlinge als Gefahr. Gegen sie müsse die nationale Kultur verteidigt werden.

Er ließ einen Gesetzentwurf schreiben, der eine ausgeklügelte und scharfe Disziplinarordnung gegen eine Minderheit war. 17 Paragrafen des friderizianischen Ausländerrechts widmeten sich der Integration, 82 aber der Frage, wie man die Ausländer möglichst schnell wieder loswird. Das Recht war als juristischer Irrgarten angelegt: Vor dem Betreten wird gewarnt!

Im Ausländerrecht hat sich seitdem einiges zum Besseren gewendet; es ist freundlicher geworden, Integration ist kein Fremdwort mehr und das Recht ist bereit, Ausländer als Neubürger zu betrachten. Im Flüchtlingsrecht dagegen hat sich nichts, gar nichts, zum Besseren gewendet. Im Gegenteil.

Das Asyl- und Flüchtlingsrecht ist ein menschen- und verfassungsfeindliches Abschreckungsrecht. Der derzeitige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich agiert und agitiert nicht so bärbeißig, wie das einst Friedrich Zimmermann tat. Aber das Ergebnis ist nicht besser: Das Flüchtlingsrecht ist auf dem Stand von 1992 eingefroren worden. Hans-Peter Friedrich wacht darüber, dass das Eis eisig bleibt.

Der Innenminister von der CSU rechtfertigt das mit den steigenden Flüchtlingszahlen - und tut so, als seien die bedrohlich. Es sind lächerlich niedrige Zahlen. Damals, zu Zeiten des ersten Friedrich, kamen fast doppelt so viele Flüchtlinge in Deutschland an wie heute in allen 27 EU-Staaten zusammen. Aber der deutsche Asylabwehrapparat, den die Regierung Kohl etabliert hat, ist europäisiert worden. Der Erfolg dieser Politik zeigt sich im Mittelmeer: Es ist ein Massengrab geworden für Flüchtlinge aus Afrika, die aus Not, Angst und in der Hoffnung auf ein besseres Leben ihr Leben alten Booten anvertraut haben.

"Residenzpflicht" verhöhnt Flüchtlinge

Soeben hat in Berlin eine kleine Demonstration für mäßiges Aufsehen gesorgt: Eine Gruppe von Asylbewerbern war zu Fuß aus dem bayerischen Würzburg bis vors Brandenburger Tor in Berlin marschiert, um so gegen die unmöglichen Zustände im Asylrecht zu protestieren. Wichtige Regelungen stammen aus der Zeit des "Asylkompromisses", der nun bald zwanzig Jahre her ist. Damals, als die Flüchtlingszahlen exorbitant hoch waren, schuf Deutschland ein Recht, das Flüchtlinge im Inland möglichst schlecht behandeln will, um sie abzuschrecken. Die Flüchtlingszahlen sanken, das Abschreckungsrecht blieb.

Da gibt es in etlichen Bundesländern, in Bayern zumal, den Befehl, ein bestimmtes Areal nicht zu verlassen. Wer das trotzdem tut, ist Straftäter. Diese Verpflichtung trägt einen Namen, die Flüchtlinge verhöhnt: "Residenzpflicht". Die "Residenz" besteht nicht selten aus einem den Flüchtlingen zugewiesenen Dreckloch, einem Sammellager, einem Container auf einer Schlammgrube im Gewerbegebiet, in dem per Kochplatte geheizt werden muss.

Die Geldleistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes hat das Bundesverfassungsgericht am 18. Juli 2012 als verfassungswidrig niedrig bewertet - die Leistungen waren seit 1993 um keinen Knopf erhöht worden und standen noch mit Mark im Gesetz. Dieses Gesetz relativiert die Menschenwürde: Statt Geld gibt es oft Gutscheine und unbrauchbare Sachleistungen. Und das Arbeitsverbot zwingt Flüchtlinge zum Herumlungern. Sie wollen arbeiten, sie wollen studieren. Sie sind in Iran von der Uni geflogen, sie sind der Unterdrückung entflohen - und Deutschland behandelt sie wie Aussätzige. Das ist eines Rechts- und Sozialstaats nicht würdig. Und das ist dumm. Man zerstört Lebenschancen für junge Menschen - und auch Chancen für die Gesellschaft.

Kommentar von Heribert Prantl

Quelle: Süddeutsche Zeitung

Zurück