Frankfurter Rundschau, 07.04.2004

"Vorsicht bei Anwesenheit von Menschenrechtsgruppen"

Interne Dokumente des Bundesgrenzschutzes zeigen, wie die Beamten fünf Jahre nach dem Erstickungstod des Sudanesen Aamir Ageeb bei Abschiebungen vorgehen sollen

Frankfurter Rundschau: Vor fünf Jahren erstickte der Sudanese Aamir Ageeb während einer Abschiebung vom Frankfurter Flughafen, weil Beamte ihn gefesselt und in den Sitz gedrückt hatten. Interne BGS-Bestimmungen, die der FR vorliegen, sollen solche Todesfälle verhindern, doch Zwang ist weiter an der Tagesordnung.

"Recht abwechslungsreich" erschienen einem jungen Grenzschützer noch vor ein paar Jahren die Abschiebungen: "Man sieht am Abend, was man geschafft hat." Doch wer heute den Bundesgrenzschutz (BGS) am Frankfurter Flughafen mit Fragen zur jetzigen Abschiebepraxis konfrontiert, stößt auf eine Mauer des Schweigens. Was hat sich am Flughafen geändert, seitdem ein Mensch bei der Abschiebung ums Leben kam? Was wurde beim BGS getan, um Todesfälle künftig zu verhindern?

Verordnetes Schweigen. Es herrscht Angst, seitdem sich Beamte wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung und bald auch wegen Körperverletzung mit Todesfolge vor Gericht verantworten müssen. Auskünfte zu allem, was im Entferntesten mit dem Prozess zusammenhängen könnte, dürfe er nicht geben, sagt BGS-Sprecher Klaus Ludwig. Nur Zahlen, die gibt es. Sie zeigen, dass in Frankfurt jedes Jahr über 9000 Flüchtlinge in Flugzeuge gezwungen und in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden.

Manche verletzen sich dabei selbst, versuchen sich umzubringen oder schlagen den Kopf gegen die Wand der Gewahrsamszellen. Andere wehren sich mit aller Kraft, wenn sie früh morgens abgeholt werden und ihnen nicht einmal mehr Zeit gelassen wird, sich komplett anzuziehen. Manche werden gefesselt ins Flugzeug getragen. Jährlich scheitern in Frankfurt über 300 Abschiebungen, weil der Widerstand der Flüchtlinge zu vehement ist, weil die Fluggesellschaft den Transport in letzter Minute ablehnt oder weil die Flüchtlinge schwer krank sind (siehe Grafik).

Doch zu der Frage, wie nach Ageebs Tod mit den im BGS-Jargon "renitenten Schüblingen" umgegangen wird, will BGS-Sprecher Ludwig nichts sagen. Doch "nur für den Dienstgebrauch" bestimmte Dokumente des BGS, die der Frankfurter Rundschau vorliegen, zeigen, dass den Grenzschützern mittlerweile klare Vorschriften gemacht werden, um Todesfälle bei Abschiebungen zu verhindern - und sie zeigen auch, was für ein brutaler Kampf jeden Tag am Flughafen stattfindet.

Verkleben der Fingernägel verboten

"Bestimmungen über die Rückführung ausländischer Staatsangehöriger auf dem Luftweg" heißt das umfangreiche Papier, das nach Ageebs Tod erlassen und als "Best.-Rück Luft" in die Amtssprache eingegangen ist. Hier finden sich neben detaillierten Handlungsanweisungen auch Vordrucke, in denen die Beamten "Widerstandshandlungen" der Flüchtlinge eintragen und die Art der Fesselung ankreuzen müssen. Zur Auswahl stehen "Stahlhandfessel", "Fußfessel", "Plastikhandfessel" und "Klettband".

Weil manche Abschiebungen auch an der Entrüstung der mitreisenden Fluggäste scheitern, sollen die Beamten "nach Möglichkeit ein Besteigen des Luftfahrzeugs vor den anderen Flugreisenden erreichen". Besondere Vorsicht sei bei "Medienpräsenz" und "Anwesenheit von Menschenrechtsgruppen" geboten, heißt es in dem Dokument. Manches, was jetzt verboten ist, verdeutlicht auch, wie brutal es in den Flugzeugen oft zugegangen sein muss. So ist "das Verkleben der Fingernägel" jetzt untersagt. Ebenso "mundverschließende Hilfsmittel" und "atmungsbehindernde Abpolsterungen". Auch das Zudrücken des Halses und Zuhalten des Mundes "zur Unterbindung von lautem Schreien des Rückzuführenden" und das Überstülpen eines Integralhelmes sind jetzt verboten. Als "Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland" müssten die Beamten neben einem "angemessenen Erscheinungsbild" auch ein "achtungswürdiges Verhalten" zeigen, das "insbesondere die Achtung der Menschenwürde des Rückzuführenden" mit einschließe, heißt es in der Bestimmung.

Im Flugzeug sollen die BGS-Begleiter darauf "achten, dass der Rückzuführende sich und andere nicht verletzt und nicht in den Besitz gefährlicher Gegenstände kommt." Immer sollen sie daran denken, "dass ein augenscheinlich ruhiges und harmloses Verhalten unvermittelt und unvorhersehbar in Renitenz und Aggression umschlagen kann." Doch bei allen Zwangsmaßnahmen müsse der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden: "Bei Rückführungen darf keine Gefahr für Leib und Leben des Rückzuführenden verursacht werden. Daher ist im Zweifel eine Rückführungsmaßnahme abzubrechen." Keine Abschiebung um jeden Preis - so sieht es zumindest die Bestimmung vor. Früher galten Beamte dagegen oft als "lasch", wenn eine Abschiebung scheiterte. Den Flüchtlingen Hand- und Fußfesseln anzulegen, ist den Beamten aber weiterhin erlaubt.

Das Ruhig-Spritzen ist untersagt

Das früher praktizierte Ruhig-Spritzen von Flüchtlingen verbieten die BGS-Bestimmungen jetzt: "Die etwaige Gabe von Arzneimitteln bedarf stets der medizinischen Indikation. Es ist deshalb unzulässig, eine rückzuführende Person nur zur Gewährleistung einer problemlosen Rückführung etwa Psychopharmaka oder ähnliches zu verabreichen", heißt es da.

Dem BGS genügt es bei kranken Flüchtlingen aber, wenn lediglich die "Reisefähigkeit" beurteilt wird: "Die Aussage, dass eine Flugreisetauglichkeit des Rückzuführenden vorliegt, ist ausreichend." Und wenn Flüchtlinge sich wehren, sind die Beamten angehalten, trotzdem abzuschieben: "Allein die Tatsache, dass ein Ausländer als renitent angekündigt wird, ist kein Grund, die Begleitung der Maßnahme abzulehnen." Selbst mehrfach am Widerstand des Flüchtlings gescheiterte Abschiebungen sollen wiederholt werden. Vor der Abschiebung sollen die Beamten das Gepäck des Flüchtlings durchsuchen und "Barmittel und Gegenstände zur Deckung der Rückführungskosten" beschlagnahmen. "Aus psychologischen Gründen" sollen dies aber nicht die Beamten machen, die den Flüchtling bis zum Herkunftsland begleiten.

Besonders angehalten sind die Beamten nach Ageebs Tod, bei Fesselungen darauf zu achten, dass die Atmung nicht behindert wird. Dass verbundene Hand- und Fußfesseln den Menschen nicht in eine gebückte Haltung zwingen oder Klettbänder den Brustkorb einschnüren. Auch über das Positional Asphyxia Phänomen, den plötzlichen Erstickungstod, werden die Beamten ausführlich mit einem gesonderten Merkblatt informiert. Im Ageeb-Prozess sagten die Beamten, nichts über die Gefahr gewusst zu haben. Das Merkblatt stellt jetzt klar, was ohnehin jeder denkende Mensch erkennen müsste: dass bei einem gefesselten und sich mit allen Kräften wehrenden Flüchtling eine "etwaige Behinderung der Atmung" zum Tode führen kann.

VON MATTHIAS THIEME

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