Mainpost, 24.04.2009
„Viele werden krank oder verrückt“
Anhörung im Landtag: Experten kritisieren Unterbringung von Asylbewerbern
Doch der junge Mann ist ein abgelehnter Asylbewerber, der nach eigenen Angaben nicht in seine Heimat zurückkehren kann. Seit über acht Jahren lebt er deshalb in einer Gemeinschaftsunterkunft im schwäbischen Nördlingen.
Ein Zustand, „der ein großes Problem für den Kopf“ ist, findet er: Mit stark eingeschränkter Bewegungsfreiheit. Mit zwei Fremden in einem kleinen Raum. Mit wöchentlichen Essenspaketen, in denen immer mal wieder Brot oder Gemüse verdorben seien. „Viele werden dort krank oder verrückt“, hat Felleke beobachtet – und lässt sich auch nicht von den schönen Zahlen beeindrucken, die ein Vertreter des Sozialministeriums in den Landtag mitgebracht hat. „Mit Statistik lässt sich viel erklären“, hält er dagegen: „Die Realität ist anders.“
Eine Meinung, die auch viele der auf Antrag der Grünen in den Landtag geladenen Experten teilen. Die derzeit 117 Gemeinschaftsunterkünfte in Bayern seien schließlich einst „als zeitlich befristete Lösung“ geschaffen worden, berichtet Prälat Hans Lindenberger von der Münchner Caritas.
Katastrophale Wohnsituation
Die Realität sei jedoch längst eine andere: Viele der Bewohner müssten mehrere Jahre „in mitunter katastrophalen Wohnsituationen“ leben. Ein System, das schlicht „nicht tragfähig“ sei.
Der Flüchtlingsanwalt Hubert Heinold hält die Situation in Bayern gar für verfassungswidrig: „Wer über Jahre in einer Gemeinschaftsunterkunft leben muss, der geht kaputt“, ist seine Erfahrung. Statt den Flüchtlingen zu erlauben, für sich selbst zu sorgen, würden sie „der Arbeit entwöhnt“, so Heinold. Dies gelte nicht zuletzt für die große Gruppe der abgelehnten Asylbewerber, die in Heimatländer wie den Irak, Somalia oder Burkina Faso gar nicht abgeschoben werden könnten.
Knapp 7500 Flüchtlinge leben laut Sozialministerium in Bayern in Gemeinschaftsunterkünften, davon rund 1150 in Unterfranken. Rund ein Drittel hat ein laufendes Asylverfahren, knapp die Hälfte eine „Ausreiseverpflichtung“. Vor allem diese Gruppe gehört zu den „Dauerbewohnern“: Im Schnitt leben die Flüchtlinge gut drei Jahre in den Unterkünften, ein Mann sei jedoch schon mehr als 18 Jahre in einer solchen Einrichtung. Sein Haus wolle „eine zeitgerechte Ausprägung der Asylpolitik“, beteuerte der Ministerialbeamte Oliver Bloeck. So würden etwa alle Container-Unterkünfte demnächst geschlossen.
Flüchtlinge durch schlechte Behandlung abzuschrecken funktioniere auch gar nicht, betonte der Mediziner Dr. August Stich, der das erst kürzlich besonders scharf kritisierte Asylbewerberheim in Würzburg betreut. Dafür hätten diese Menschen schon zu viel durchgemacht.
Zudem wälze der Freistaat beim bestehenden System hohe Kosten auf die Kommunen ab, ohne ihnen Mitsprache bei der Lösung der Probleme zu gewähren, kritisierte der Würzburger Sozialreferent Robert Scheller: Man werde hier „an einer sehr kurzen Leine geführt“. Und auch, ob das bayerische System unter dem Strich tatsächlich billiger ist, als eine individuelle Unterstützung der Asylbewerber, wurde von verschiedenen Referenten bezweifelt.
Sozialpolitiker einig
Am Ende waren sich zumindest die Sozialpolitiker der Landtagsfraktionen einig, dass die derzeitige Situation verbessert werden muss. Gefordert wird etwa eine Begrenzung der Aufenthaltsdauer in den Asylheimen. „Vor allem für Kinder, Familien und Kranke müssen bessere Lösungen gefunden werden“, findet zudem der Würzburger CSU-MdL Oliver Jörg. Sein SPD-Kollege Volkmar Halbleib hegt allerdings Zweifel, ob sich die nachdenklichen Stimmen in der CSU/FDP-Staatsregierung am Ende tatsächlich durchsetzen werden: „Denn den schönen Worten müssen nun schnelle Taten folgen.“
Henry Stern