Süddeutsche Zeitung, 21.03.2012
Verzweifeltes Aufbegehren
Asylbewerber im Hungerstreik
Nacht für Nacht in einer furchteinflößenden Ex-Kaserne - ohne Aussicht auf Besserung: Deshalb hungern jetzt in Würzburg acht Asylbewerber aus Iran, um auf die Missstände in der unterfränkischen Sammelunterkunft aufmerksam zu machen.
Es gibt Momente, in denen Hassan Hosseinzadeh beinahe lachen muss über sein Leben. Allerdings nicht, weil es so lustig wäre. Eher deshalb, weil er sonst Angst haben müsste, regelrecht durchzudrehen an seinem Wohnort, der seit inzwischen mehr als vier Jahren Würzburg heißt. Diese Stadt ist schön, ganz ohne Frage, sagt Hosseinzadeh. Nur eben nicht dort, wo der 34 Jahre alte Iraner schlafen muss, Nacht für Nacht: in der Gemeinschaftsunterkunft an der Veitshöchheimer Straße, einer ehemaligen Kaserne, die mit furchteinflößend eher beschönigend beschrieben wäre.
"Wissen Sie", sagt der Zwangswürzburger, "wenn Sie in einem Gefängnis eingesperrt sind, dann wissen Sie: In vier Monaten, in zwei Jahren, wann auch immer, bin ich hier raus." Hosseinzadeh macht eine Pause und nach der kurzen Unterbrechung ahnt man auch ohne dass er fortfahren muss, was sein Problem ist. Er, der Familienvater und Asylbewerber Hosseinzadeh, weiß eben nicht, wie lang er noch in der hässlichen Kaserne eines hässlichen Randbezirks einer grundsätzlich sehr pittoresken Stadt leben muss.
Es ist Dienstag, und an der Stelle, an der Hosseinzadeh gerade steht, wirkt Würzburg an dem Morgen wie Postkartenkitsch. Wendet er sich nach rechts, sieht er die Heiligenfiguren der Alten Mainbrücke, linker Hand blickt er auf den Dom, zweifellos schöne Bauwerke, befindet Hosseinzadeh. Aber wenn er es sich hätte aussuchen können, hätte er Würzburg eher nicht zu seiner Heimatstadt erkoren.
Hosseinzadeh bittet um Verständnis, er will die Einheimischen bestimmt nicht verletzen. Aber: Der Iraner musste ja unter anderem deshalb aus seinem Heimatland fliehen, weil er mit der Religion gebrochen hatte. Seitdem droht ihm dort die Todesstrafe. Und deshalb - Hosseinzadeh lacht jetzt ein bisschen - sei sein Verhältnis zur Religion eben nicht ungestört. Nun in einer Stadt "mit so vielen Gotteshäusern" zu leben, habe für ihn fast etwas Bizarres.
Die sieben Landsleute, die am Montag zusammen mit Hosseinzadeh ein Zeltlager vor dem Rathaus aufgeschlagen haben und in den Hungerstreik getreten sind, sehen das ähnlich. Ihnen geht es wie Hosseinzadeh: Sie waren in ihrer Heimat Studenten oder Beamte, ein hoffnungsvolles Leben hätten sie vor sich gehabt. Aber weil sie nicht einverstanden sind mit dem Regime ihres Landes, war ihnen das nicht möglich. Also Deutschland.
Im September 2007 ist Hosseinzadeh im Auffanglager Zirndorf angekommen, wenn ihm einer gesagt hätte, dass er vier Jahre danach immer noch in einer früheren Kaserne in Bayern leben würde, er hätte diesen Menschen für verrückt erklärt. Vier Jahre lang nicht entscheiden können, was man essen will - weil das Land Bayern auf Essenspakete besteht. Vier Jahre lang die Tristesse eines gammeligen Lagers, die meiste Zeit in einem Zimmer mit Bettnachbar. Vier Jahre lang keine Arbeit, weil man nicht arbeiten darf. "Können Sie sich vorstellen, was das mit einem macht?", fragt Hosseinzadeh. Er habe ein unfreies Land verlassen. Dass das nun Freiheit sein soll, seine Freiheit in der "Gemeinschaftsunterkunft Würzburg", hat er nicht für möglich gehalten.
Viele hören ihm an diesem Morgen nicht zu. Obwohl das Zeltlager der Iraner auf dem zentralen Platz in Würzburg steht. Obwohl sie ihr Zelt mit Bildern beklebt haben, die dokumentieren, wie es Menschen in Iran ergeht, die ein anderes Leben führen wollten als es das Regime will - man sieht viele Galgen auf diesen Fotos.
Und obwohl sie eine Tafel aufgestellt haben, auf der mit Kreide die Tage angeschrieben sind, wie lange die Iraner hungern wollen für bessere Bedingungen in ihrer Kaserne: "Seit zwei Tagen im Hungerstreik", steht auf der Tafel. 14 Tage wollen sie zelten und hungern. Ein Foto von Mohammad Rahsepar hängt auch an dem provisorischen Zelt. Rahsepar ist der 29 Jahre alte Iraner, der sich im Januar in der Gemeinschaftsunterkunft in Würzburg erhängt hat. Hosseinzadeh kannte Rahsepar, natürlich.
Ein kräftiger Mann sei das anfänglich gewesen, erzählt Hosseinzadeh, mit Lust am Leben. Irgendwann nach ein paar Monaten in der ehemaligen Kaserne am Würzburger Stadtrand habe ihn Rahsepar - er wurde in Iran gefoltert - gefragt, wie lange Hosseinzadeh eigentlich schon in dieser furchtbaren Umgebung sein Leben friste. Beinahe, sagt Hosseinzadeh, tue es ihm im Nachhinein leid, die Wahrheit gesagt zu haben. Rahsepar habe es nicht fassen können. Er lebte zu der Zeit erst ein paar Monate dort, nicht vier Jahre. Kurz vor seinem Suizid ließ sich Rahsepar wegen Depressionen behandeln.
In den Wochen nach dessen Tod musste Hosseinzadeh zweimal ins Krankenhaus. Hosseinzadeh ist Sportler, 1,95 groß, er wirkt so, als könnte ihn wenig umhauen. Plötzlich aber hatte er Herzrasen. Ein anderes Mal weinte er drei Stunden am Stück. Hosseinzadeh holt ein Foto aus seinem Geldbeutel. Seine Tochter. Auf dem Bild ist sie drei Jahre alt, inzwischen ist sie acht. Hosseinzadeh war Beamter, wäre er nicht in einem Land geboren worden, das seine Bürger misshandelt, wäre er jetzt Beamter und Familienvater.
In zwölf Tagen wird er in die Gemeinschaftsunterkunft an den Würzburger Stadtrand zurück müssen.
Von Olaf Przybilla
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