n-tv, 24.10.2012

Verantwortung statt Verachtung

Denkmal für Sinti und Roma


Nach den Juden und den Homosexuellen erhalten auch die rund 500.000 getöteten Sinti und Roma in Berlin einen Ort der Erinnerung - knapp 70 Jahre nach Kriegsende. Warum sich die Deutschen mit diesen Opfern so schwer getan haben, ist leider sehr leicht zu beantworten.

Das Romanes-Wort Porajmos könnte man mit "Verschlingen" übersetzen. Die Roma bezeichnen damit den Völkermord an ihrem Volk in der Zeit des Nationalsozialismus. Am 16. Dezember 1942 hatte der Reichsführer SS Heinrich Himmler den Befehl erteilt, "Zigeunermischlinge, Rom-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft nach bestimmten Richtlinien auszuwählen und in einer Aktion von wenigen Wochen in ein Konzentrationslager einzuweisen".

In Deutschland gibt es kaum eine Familie unter den Sinti und Roma, die nicht Angehörige im Holocaust verloren hat. Bis zu 500.000 Roma wurden zwangssterilisiert, vergast, erschossen, erschlagen, verhungert. In den Konzentrationslagern trugen sie schwarze Winkel.

Doch die Deutschen wollten das nicht wahrhaben. Während der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer mit der Gründung der Bundesrepublik 1949 den Holocaust an den Juden anerkannte, blieben Sinti und Roma jahrzehntelang unsichtbare Opfer. Später wurden sie allenfalls wie Opfer zweiter Klasse behandelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg führten sogenannte Landfahrerzentralen der Polizei weiterhin systematische Erfassungen der Sinti und Roma durch. Darin standen mehrstellige Nummern - dieselben, die die SS-Schergen den Sinti und Roma in den Konzentrationslagern eintätowiert hatten. Baden-Württemberg gab nach dem Krieg einen "Leitfaden zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens heraus".

Langer Weg der Anerkennung

Moralische oder gar finanzielle Wiedergutmachung: Fehlanzeige. Erst unter Bundeskanzler Helmut Schmidt wurde der Genozid an Sinti und Roma 1982 als "schweres Unrecht" ausdrücklich bestätigt. Doch es dauert weitere zehn Jahre, bis Bundeskanzler Helmut Kohl 1992 den Sinti und Roma ein eigenes Mahnmal für ihre Opfer zusagte. Noch einmal 20 Jahre später ist es nun eingeweiht.

Warum sich die Deutschen mit diesen Opfern so schwer getan haben, ist leider sehr leicht zu beantworten. Noch immer sind die Vorurteile gegen "Zigeuner" lebendig wie eh und je. Arbeitsscheu und kriminell, auf diesen Ressentiments konnten die Nazis ihre Vorbereitungen zum Völkermord aufbauen. So denken viele nach wie vor über Roma.

Alte Reflexe

Und wenn heute die Asylbewerberzahlen aus Serbien oder Mazedonien steigen, will manch einer noch immer rufen: "Nehmt die Wäsche von der Leine." Stattdessen spricht Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) von strengeren Visaregeln und einem schärferen Vorgehen gegen Asylmissbrauch. Doch allen ist klar, es sind vor allem Roma, die ihre Heimat verlassen, um dem aussichtslosen Kreislauf aus Armut und Diskriminierung zu entgehen. Damit lässt sich trefflich Stimmung machen.

So setzt sich die Stigmatisierung fort, in den Köpfen und in der Politik. Das neue Berliner Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma ist ein Versuch, die an den Roma begangenen Verbrechen endlich beim Namen zu nennen. Ein ehrenhafter allemal. Doch solange wir zulassen, dass es möglich ist, mit ethnischer Andersartigkeit soziale Diskriminierung zu rechtfertigen, bleibt es ein toter Ort. Erst wenn wir in der Lage sind, den lebendigen Roma Teilhabe in unserer Gesellschaft einzuräumen, wird aus Verachtung Verantwortung.

Ein Kommentar von Solveig Bach

Quelle: n-tv.de

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