Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.02.2011

Unterm Banner gegen die weite Welt

Streit um Asylbewerber

Bei der Talkrunde zum Thema "Asylbewerber und die Verantwortung der Demokratie" tritt auch Monika Hohlmeier auf


In einem kleinen Ort in Oberfranken liegt ein zusammengerolltes Banner in einem Vorgarten. Was darauf geschrieben steht, könnte die Überschrift sein für die Geschichte, die die Nachbarn erzählen, fragt ein Fremder sie nach dem Heim. Das Heim: ein weiß getünchter Kasten in der schmalen Wilhelmstraße, keine Namen stehen an den Klingeln, keine Gardinen hängen in den Fenstern, einen Vorgarten hat es nicht, und niemand wohnt darin. Noch nicht. Bald könnten die Asylbewerber kommen, und wenn Karl-Heinz Stegner davon anfängt, rollt er gern das Banner in seinem Vorgarten aus, ein Ende legt er auf die Hecke, damit man alles lesen kann:

„Erst wenn der letzte Deutsche ausgewandert ist, keiner für eure Fehlentscheidungen Steuern zahlt und der Friede im Land keiner mehr ist, werdet ihr feststellen, dass euch selbst Asylbewerber nicht mehr wählen würden.“

Karl-Heinz Stegner, ein alter Mann in Strickjacke, Jogginghose und Pantoffeln, zupft an diesem eiskalten Februarmorgen überstehende Ästchen aus der Gartenhecke vor seinem Haus. Über die Hecke blickt er in ein Fenster des Heims, es steht gleich neben seinem Haus, deswegen kennt er es gut. Er hat sogar früher selbst darin gearbeitet, als es noch eine Polstermöbelfabrik war. Das waren noch Zeiten, aber die Zeiten haben sich geändert, und Karl-Heinz Stegner, geboren in Ebersdorf und Zeit seines Lebens Ebersdorfer, glaubt, er müsse etwas tun: Er stellt ein Banner in seinen Garten, er spricht mit der Zeitung und dem örtlichen Fernsehsender über das Heim, und wenn sein Freund Werner Friedrich des Weges kommt, plaudern die beiden über die Hecke und kommen zu dem Schluss: „Zu ehrlich simma.“

Eigentlich hat man nichts gegen Ausländer, sagen alle

Zu ehrlich, wenn es um das Heim geht. Über das wird in Ebersdorf gestritten, seit die 6000 Einwohner im Januar erfuhren, dass vielleicht schon im Februar Asylbewerber zu ihnen kommen sollen. 130 Menschen, hieß es, vermutlich viele aus Afghanistan und Iran. Mehr weiß bis heute noch niemand über die neuen Nachbarn. Das reicht aber schon, um wütend zu sein: wütend auf die Regierung von Oberfranken in Bayreuth, die im Dezember mit dem Besitzer des Hauses einen Mietvertrag abschloss, ohne den Bürgermeister zu informieren. Wütend darüber, dass so viele Asylbewerber auf einmal kommen. Und wütend darüber, dass sie alle in dem einen Kasten an der Wilhelmstraße 10 wohnen sollen.

Denn eigentlich haben sie in Ebersdorf ja nichts gegen Ausländer. Das sagen alle. Elf Prozent der Einwohner stammen nicht aus Deutschland, die meisten von ihnen sind Spätaussiedler aus Russland. Ein paar Türken gibt es auch, die sind gut integriert. Das sagen alle. Es ist alles in Ordnung hier, es gibt gepflegte Vorgärten mit Gartenzwergen und Vogelhäuschen und Hecken drumherum, Wirtshäuser und Fachwerkhäuser und braune Felder drumherum, und dann kommt Coburg, die Kreisstadt. Es ist Bayern hier, aber Gespräche, die mit „Grüß Gott“ beginnen, drehen sich in diesen Tagen bald um Lampedusa, wegen der Flüchtlinge. Um Sarrazin, weil der sage, wie es sei. Und um Protest, denn die Menschen wollen sich nicht gefallen lassen, was die Regierung von Oberfranken mit ihrem Ort vorhat.

„Gleicher Feind vereint“

So geschah in den vergangenen Wochen allerlei in dem Ort, worüber bis heute gesprochen wird. Eine Anwohnerin schrieb einen Brief an die Regierung von Oberfranken und sammelte 70 Unterschriften von Menschen, die auch nicht wollen, dass gleich 130 Asylbewerber kommen. Es gab eine Demonstration in der Wilhelmstraße, 400 Menschen waren da, der Bayerische Rundfunk filmte Karl-Heinz Stegners Banner, und auch ein paar NPD-Männer ließen sich blicken. Auf die Frage, ob die NPD das Anliegen der Ebersdorfer unterstütze, antwortete die Wortführerin der Anwohnerinitiative einem Journalisten der Coburger Zeitung „Neue Presse“: „Gleicher Feind vereint“, was wiederum den Bürgermeister von Ebersdorf, Bernd Reisenweber von den Freien Wählern, erschreckte.

Inzwischen haben alle Angst: der Bürgermeister davor, dass jemand seine Gemeinde für ausländerfeindlich hält; die Ebersdorfer vor den Asylbewerbern; der Hausbesitzer davor, dass sein Haus nun doch kein Heim werden könnte, weil der Bürgermeister überlegt, es zur Gewerbefläche erklären zu lassen; und vielleicht sogar die Asylbewerber vor Ebersdorf. Der Lokaljournalist wird auf einer rechten Internetseite aus der Region übelst beschimpft, weil er ausländerfreundlich berichte, und am vergangenen Sonntag klingelte mehrmals sein Telefon zu Hause, niemand meldete sich. Er hat Anzeige gegen Unbekannt erstattet, und ein dickes Fell, wie er sagt. Er berichtet weiter für die Zeitung.

„Wie die Spatzen saßen sie da“

Karl-Heinz Stegner liest die „Neue Presse“ nicht. Was ihm an der Geschichte mit dem Heim Angst macht, weiß er auch so. „Hätten Sie denn so was gerne neben Ihrem Haus?“, leitet er seine Argumente ein. Die Frage stellen hier viele, triumphierend, als könne sie nur verneint werden. Was er mit „so was“ meint, kann Karl-Heinz Stegner genau sagen, denn schon einmal, einige Jahre ist es her, lebten Fremde nebenan: russische Spätaussiedler waren es damals. Was geschah damals, das den bayerischen Nachbarn so verärgerte?

„Da geht’s so“, sagt Karl-Heinz Stegner und versucht mit seltsamen Lauten eine fremde Sprache zu imitieren, „bis halb zwei nachts!“

„Einmal sind aus dem offenen Fenster Servietten bei mir vor die Tür geflogen!“

„Wie die Spatzen saßen sie da“, er weist auf ein Mäuerchen gegenüber seines Hauses.

„Hier vor der Einfahrt haben sie geparkt!“ Da hat ihm der damalige Leiter der Bauverwaltung Halteverbotsschilder vor der Zufahrt spendiert.

Aber Karl-Heinz Stegner will auch nicht übertreiben. Er habe „nix persönlich“ gegen die Asylbewerber, auch wenn es ihm lieber wäre, „wenn’s Ordentliche wären“, also solche mit Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitsplatz. „Außerdem sind das auch dumme Leute: Hauen ab und wissen gar nicht, wo sie hinsollen.“

Dass die Idee mit dem Heim an der Wilhelmstraße nicht die beste sei, sagen inzwischen viele – und nicht nur Anwohner. Die Darmstädter Schader-Stiftung hat auf Bitte der Gemeinde Ebersdorf eine Stellungnahme geschickt: Gemeinschaftsunterkünfte wie die geplante seien gerade auf dem Land einer „starken Stigmatisierung“ ausgesetzt, kleine Kommunen sähen sich damit „zurecht überfordert“. Aus „sozialen und humanitären Gründen“ empfehle man „dezentrales Wohnen“.

Zur Talk-Runde kommt auch die Polizei

Nur noch zehn Asylbewerber in Ebersdorf – die Vorstellung gefällt den Einwohnern. Als am Dienstag der lokale Fernsehsender eine Gesprächsrunde zu dem Thema veranstaltet, ist der Andrang groß. In einen Saal in Coburg drängen die Menschen, die eigentlich ins Ebersdorfer Wirtshaus „Goldener Stern“ kommen sollten, aber das war zu klein für all die, die mitreden wollen. Auch die Polizei ist da, um Rechten den Zutritt zu verwehren. Man wolle die emotionale Debatte der vergangenen Wochen versachlichen, sagt der Moderator, dann loben Bürgermeister, Landrat, Bezirksrat und ein einst aus Äthiopien geflohener Student eineinhalb Stunden die Idee, die Asylbewerber auf alle Gemeinden im Kreis Coburg zu verteilen. „Staatlich geförderte Fremdenfeindlichkeit“ befürchtet der Bezirksrat als Folge der Massenunterkunft.

Bei Freibier und Schinkenbrötchen feiern die Zuhörer anschließend das Versprechen des Bürgermeisters, gemeinsam mit dem Landrat noch in dieser Woche bei der bayerischen Sozialministerin vorstellig zu werden: 45 Minuten hat sie der oberfränkischen Delegation zugesagt, um ihr Konzept vorzustellen. Teurer als die Massenunterkunft dürften die kleineren Wohneinheiten nicht sein, das wissen alle und hoffen nun, dass das irgendwie klappt. Schließlich hatte Monika Hohlmeier von der CSU, die an diesem Abend auch im Saal ist, eben noch gesagt, dass bald doppelt so viele Flüchtlinge nach Oberfranken kämen wie bisher. Was Ebersdorf bevorsteht, nennt sie „relativ massiv“. Da müsse was getan werden.

Doch damit ist die Sache für viele Zuhörer nicht geklärt. Ein Grüppchen Rentner redet über Lampedusa, über die tunesischen Flüchtlinge, die wohl auch bald nach Deutschland kämen, „weil wir ein Staatsproblem haben: weil wir überall immer das Gute sehen“, sagt Dieter Oetter, Kordsakko und Karohemd. Die Ägypter kämen ja auch noch. Und die Libyer. Um das Heim in Ebersdorf geht es in dem Gespräch bald nicht mehr. Keiner der Rentner an dem Stehtisch lebt selbst in dem Ort – aber was dort passiert, sehen sie als Beispiel für die Zukunft des Landes.

Friederike Haupt

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung

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