Süddeutsche Zeitung, 19.05.2011

Syrer müssen nicht in ihr Heimatland zurück

134 Landtagsabgeordnete votieren für einen Abschiebestopp - nur Gabriele Pauli ist dagegen

 

Es vergeht kein Tag, an dem Fatima Muhammad (Name geändert) nicht über die Internet-Plattform You-Tube die neuesten Filme über die Unruhen in ihrer syrischen Heimat herunterlädt. Immer wieder ruft sie auch bei ihrer Familie in Syrien an. Das Gefühl, das sie beschleicht, sobald sie den Hörer in die Hand nimmt, lässt sich mit einem Wort ausdrücken: Angst. Angst, ob ihr Vater noch lebt. Angst, ob ihr Onkel - dessen Rücken von Folterspuren gezeichnet ist -schon wieder von der Polizei oder von bewaffneten Milizen abgeholt wurde. Angst, dass weitere Cousinen von ihr spurlos verschwinden.


Am späten Dienstagabend hat der bayerische Landtag beschlossen, die Abschiebungen nach Syrien auszusetzen. Fatima Muhammad, die vor acht Jahren als Asylbewerberin nach Bayern kam und jetzt als .„Geduldete" hier in einer Flüchtlingsunterkunft lebt, könnte sich nun sicherer fühlen. Doch die junge Frau sagt: „Solange wir keine Aufenthaltsgenehmigung erhalten, werden wir nicht wirklich in Frieden leben können." Noch wichtiger sei ihr aber im Moment, dass ihr Heimatland wieder zur Ruhe komme. Doch in den nächsten Jahren werde das nicht geschehen, befürchtet sie.


Diese Sorge teilten am Dienstag bei der Plenumsabstimmung 134 bayerische Landtagsabgeordnete, auch die der CSU. Nur eine Abgeordnete, so verkündete Renate Ackermann, die Sozialexpertin der Grünen, habe in der namentlichen Abstimmung gegen-den Abschiebungsstopp votiert: Gabriele Pauli, einst CSU, dann Freie Wähler und mittlerweile parteilos. Ackermarin indes wertet das Abstimmungsergebnis als großen Erfolg. Nachdem der nahezu wortgleiche Antrag der Grünen noch vor gut einem Monat im Rechts- und Verfassungsausschuss mit den Stimmen der CSU abgelehnt worden war, sei das jetzige Ergebnis ein voller Erfolg. „Das ist unserer Hartnäckigkeit zu verdanken", sagte Ackermann. Jetzt komme in Bayern vorerst kein Syrermehr in Abschiebehaft. „Schon viel zu lange hing das Damoklesschwert über diesen Leuten", sagt Ackermann. Der Bayerische Flüchtlingsrat weist auf alarmierende Zahlen hin: Demnach sind in Syrien bereits 800 Zivilisten von regierungsnahen Kräften ermordet worden.


Das Innenministerium erklärte am Mittwoch, Bayern habe mit Rücksicht auf die unsichere Lage bereits seit März keine Abschiebungen mehr nach Syrien vorgenommen. „2011 wurde nur ein einziger Syrer abgeschoben", sagte ein Sprecher. Ackermann erhebt jedoch schwere Vorwürfe gegen Innenminister Joachim Hermann (CSU). Auch vor Ausbruch der Unruhen seien Abschiebungen nach Syrien nicht mehr zu rechtfertigen gewesen. „Religiöse und ethnische Minderheiten sind dort fundamentalen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt", sagte Ackermann. Syrer, die sich bereits seit einigen Jahren im Westen aufhalten und einen Asylantrag gestellt haben - wie etwa Fatima Muhammad - seien besonders gefährdet. „Sie gelten als Verräter gegenüber dem Vaterland", sagte Ackermann.

 

Derzeit befinden sich in Bayern noch drei Syrer in Abschiebehaft.


Derzeit befinden sich nach Angaben des Justizministeriums in Bayern drei Syrer in Abschiebehaft, die womöglich in sichere Drittländer abgeschoben werden können. Ebenfalls in Abschiebehaft sitzen zwölf Algerier und sieben Marokkaner. Auch in deren Heimatländern ist die politische Lage instabil. Doch hier greift immer noch das Abkommen, das die Bundesrepublik mit den jeweiligen Ländern geschlossen hat, um die Rückkehr ausreisepflichtiger Ausländer zu erreichen. Auch mit Syrien gab es ein solches Abkommen. Nach Libyen oder in den Jemen finden indessen seit 2009 keine Abschiebungen mehr aus Bayern statt. Mit diesem beiden Ländern gibt es keine Rücknahme-Abkommen.


Von Dietrich Mittler

Zurück