Abendzeitung, 02.12.2008

Stationen einer Flucht

Brüder aus Bagdad bitten in Bayern um Asyl - der eine darf bleiben, der andere soll abgeschoben werden

Wenn Petrus Rifaat mit seinen irakischen Verwandten Advent feiert, ist sein Bruder Ziyad nicht dabei. Nur ein Foto, das Ziyad bei der Ankunft am Münchner Flughafen zeigt, steht auf dem Fernseher. Der 22-jährige Petrus lebt in München, sein 24-jähriger Bruder sitzt im Gefängnis. Es ist die Geschichte einer Odyssee durch Europa, die Geschichte zweier Flüchtlinge aus dem Irak, ihr unerklärliches Schicksal in den Händen der Behörden. Ziyad droht die Abschiebung.

In zwei Stunden muss Petrus los, bei McDonald's am Stachus brät er Burger. Jetzt sitzt er auf der Couch im Wohnzimmer seiner Cousine Abir im Westend. Über Petrus hängt ein Bild vom Letzten Abendmahl, an der Wand ein Rosenkranz. Es war ein langer Weg bis hierher.

Im Sommer 2007 fing alles an. Die Brüder flohen aus Bagdad. Sie sind chaldäische Christen, in ihrer Heimat wurden sie von radikalen Moslems verfolgt, bekamen Morddrohungen. Sie wollten weg, sie mussten weg. Das Ziel: Asyl in München, wo ihre Cousine Abir (33) seit acht Jahren mit ihrem Mann Adel lebt. Das Paar hat drei Kinder.

Der Vater von Petrus und Ziyad sparte Geld und organisierte einen Schlepper. Der beschaffte gefälschte Pässe und brachte sie zuerst nach Istanbul, wo die Brüder zwei Wochen lang im Untergrund lebten. Dann ging es weiter Richtung Deutschland - doch auf welchem Weg sie nach München kamen, wissen die Brüder nicht genau. Erst waren sie mit dem Auto unterwegs, später mit dem Flugzeug, so viel ist sicher. Doch von wo aus der Flieger startete - Istanbul, vielleicht auch Athen - weiß niemand. Petrus sagt: In Griechenland waren er und sein Bruder nie. Am Flughafen in München verhaften Polizisten die beiden. Sie notieren die Flugnummer AB 8041, der Flieger kam aus Athen. Dass Ziyad und Petrus beteuern, in ihrem Leben noch nie in Griechenland gewesen zu sein, hilft nichts.


Als sein Bruder dieses Foto aufnimmt, glaubt sich Ziyad Rifaat am Ziel.
Es zeigt den 24-Jährigen am Münchner Flughafen.


70 Tage sitzen sie im Gefängnis in Stadelheim. Danach kommen Ziyad und Petrus in ein Lager in Sigmaringen in Baden-Württemberg. In der Nacht des 25. März passiert, was niemand erklären kann. Polizisten stürmen das Zimmer, legen Ziyad Handschellen an. Petrus bleibt allein zurück. Stunden später landet Ziyad in Athen. Petrus darf in Deutschland bleiben, er wird geduldet.

In Athen lebt Ziyad sechs Monate lang auf der Straße

„Wieso nur Ziyad?", fragt Abir. „Wieso nach Griechenland?" Das kann auch Ziyads Anwalt Christoph Unrath nicht erklären. Er hat jetzt einen Eilantrag gestellt, mit dem er die Abschiebung verhindern will. „Es gibt keinen konkreten Zeitpunkt, aber in rund zwei Wochen müsste es eine definitive Entscheidung geben", sagt Unrath. Die Entscheidung, ob Ziyad bleiben darf oder nach Griechenland muss. Die andere Lösung: Deutschland macht aus humanitären Gründen von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch und übernimmt die Zuständigkeit für Ziyad. „Offiziell ist im Moment Griechenland zuständig", sagt Unrath.

Bereits bei Ziyads letzter Abschiebung nach Griechenland hatte der Anwalt den Selbsteintritt vorgeschlagen - warum er trotzdem ausreisen musste, weiß Unrath nicht. „Aber irgendjemand hat die Abschiebung voreilig betrieben", sagt er. Zugrunde lag die Dublin-II-Verordnung. Sie besagt, dass Asylsuchende in nur einem Land innerhalb der Europäischen Union einen Antrag stellen können. Laut Gesetz ist das Land für den Antrag zuständig, in dem der Flüchtling zuerst war - in Ziyads Fall also Griechenland, wie die Polizeibeamten am Flughafen feststellten.

Alles, was Ziyad in Athen von den griechischen Behörden bekommt, ist ein roter Zettel. Darauf ein Passbild und sein Name. Sechs Monate lang lebt er auf der Straße, nachts schläft er mit Besoffenen in einem Park. Vor drei Wochen schickte Ziyads Vater Geld nach Athen, rund 600 Euro. Geld für Ziyads Flucht. Mit einem Laster schafft er es bis nach Deutschland. In Kehl in Baden-Württemberg kontrollieren ihn Beamte im Zug auf dem Weg nach München. Ziyad zeigt ihnen seine rote Karte. Wieder landet Ziyad im Gefängnis, in Mannheim. Seit dem 19. November sitzt er in Abschiebehaft. Es gibt neue Hoffnung: Die Innenminister der Europäischen Union haben beschlossen, 10000 schutzbedürftige Flüchtlinge aus dem Irak aufzunehmen. Der CSU-Politiker und Innenminister Joachim Herrmann verspricht, 400 irakische Christen in Bayern unterzubringen.

Abir spricht regelmäßig mit Ziyad. Morgens, wenn Petrus noch arbeitet, ruft Ziyad kurz aus dem Gefängnis an, „Er hat zu mir gesagt: ,Im Knast ist es besser als in Athen. Hier bekomme ich Essen und Trinken'", erzählt Abir. Ziyad hat Angst. Wenn er mit Abir telefoniert, weint er. Sie versucht, die Tränen zurückzuhalten. „Ich will ihm Kraft geben", sagt sie. Jedes Mal, wenn seine Zellentür aufgeht, fürchtet Ziyad, dass die Polizei kommt und ihn mitnimmt. Erst vor ein paar Tagen haben sie Ziyads Zimmerkollegen geholt, er stammt aus dem Libanon.

„Wenn er noch mal nach Griechenland zurück muss, wird er vielleicht in den Irak abgeschoben", sagt Abir. „Es wäre sein Todesurteil." Abirs Tante und eine Cousine wurden ermordet, weil sie für die Amerikaner als Dolmetscher arbeiteten. Der Onkel von Adel, Abirs Mann, verkaufte in einem kleinen Laden Alkohol - für radikale Moslems eine Sünde. Er starb durch eine Bombe, am helllichten Tag.

Abirs Mann wird von radikalen Moslems in die Luft gesprengt

Petrus hatte Glück. Seit drei Monaten steht er bei McDonald's in der Küche. Er spricht kein Deutsch, versteht nur wenig. Petrus arbeitet in der Nachtschicht und verdient 1200 Euro netto im Monat. Im Moment lebt er bei einem Cousin in München, bald zieht er in seine eigene Wohnung. 30 Quadratmeter, 415 Euro warm.

Er hofft, dass er dort in Zukunft mit Ziyad wohnen kann. Ziyad könnte auch bei McDonald's arbeiten, da ist sich Petrus sicher. Sie sind nicht nur Brüder, sie sind Freunde. Was Ziyad und Petrus durchgemacht haben, schweißt zusammen. Fragt man Petrus nach seinem Leben in München grinst er breit und lacht. „Es ist wie im Paradies. Es ist sicher, sauber, es gibt Strom, ich kann arbeiten. Hier kann ich ein Mensch sein." Stolz präsentiert er sein Visum. Es gilt bis 2011. Mit den Fingern streichelt er über das blaue Büchlein, drückt es an sich.

Die Eltern von Ziyad und Petrus wissen nichts vom Schicksal ihres ältesten Sohnes. „Ziyads Vater hatte schon einen Herzinfarkt", sagt Abir. Er denkt, dass Ziyad noch in Athen ist. Wenn er erfährt, das Ziyad im Gefängnis ist, stirbt er vielleicht, fürchtet sie. Wenn er fragt, wieso er Ziyad nicht erreichen kann, erzählen sie ihm, dass der Handy-Akku leer ist.


Beten für den großen Bruder: Petrus Rifaat, seine Cousine Abir, ihr Ehemann Adel und die
Söhne Andrew (11), Manuel (6), Mario (1) hoffen, dass auch Ziyad in Bayern bleiben darf.


Sollte Ziyad frei kommen, wollen Abir und Petrus als erstes die Eltern in Bagdad informieren - und dann in Abirs Wohnung gemeinsam Weihnachten feiern. Und Ziyads Geburtstag. Am 23. Dezember wird Ziyad 25 Jahre alt.

Von Christoph Landsgesell

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