Mainpost, 30.01.2012

Standpunkt: Vorsichtig mit Schuldzuweisungen

 

Ein junger Mann ist tot. Seine Flucht vor dem Regime im Iran endete in Würzburg mit seinem Suizid in der Gemeinschaftsunterkunft. Was ihn zu dieser Verzweiflungstat getrieben hat, weiß nur er selbst, alles andere sind Spekulationen.

Es ist ein Reflex, dass mit Fingern auf Behörden, auf Menschen und Einrichtungen gezeigt wird, Schuldige gesucht und vermeintlich schnell gefunden werden: die Bayerische Staatsregierung, die Flüchtlinge nicht willkommen heißt, sondern zur Rückkehr in ihre Heimat bewegen will. Die Regierung von Unterfranken, die für die Gemeinschaftsunterkunft zuständig ist. Das Personal dort, vielleicht auch Ärzte oder Therapeuten. Hätten sie die Suizidgefahr erkennen und anders reagieren müssen?

Fakt ist: Es gibt keinen Beweis, dass die Asylpolitik der CSU, die Zustände in der Unterkunft oder Versäumnisse einzelner Personen zu dem Suizid geführt haben. Ebenso klar ist aber auch: Der Blick richtet sich, wieder einmal, auf die Gemeinschaftsunterkunft, auf die Verhältnisse dort, auf die Art und Weise, wie mit Asylsuchenden umgegangen wird. Ein junger Mann, hoch gebildet, kam nach Deutschland, um hier einen neuen Anfang zu machen. Jetzt ist er tot – da muss etwas falsch gelaufen sein. Es wäre pietätlos und völlig inakzeptabel, jetzt einfach zur Tagesordnung überzugehen.

Von Norbert Hohler

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