Nürnberger Zeitung, 23.07.2011
Sprachrohr für Menschen ohne Lobby
Seit 25 Jahren im Dienst anderer: der Bayerische Flüchtlingsrat
Irgendwann wollte er mehr tun als nur spielen oder bei den Hausaufgaben helfen. „Das war auch wichtig, aber ich wollte mich mehr betätigen. Die Politisierung kam schleichend“, sagt Matthias Weinzierl. „Denn man kam über kurz oder lang immer zu dem Thema Abschiebung“, sagt der 39-Jährige heute über die erste Zeit, in der er sich um Flüchtlinge und ihre Kinder kümmerte. Damals, als Anfang der 90er im Münchner Norden in der Pragerstraße Flüchtlinge in Baracken hausten und die katholische Jugendarbeit dafür sorgte, dass die Kinder der Flüchtlinge nicht nur die Wände anstarrten.
Inzwischen ist Matthias Weinzierl Geschäftsführer des mitgliederstärksten Flüchtlingsrates Deutschlands, des Bayerischen Flüchtlingsrates. Aus dem zunächst ehrenamtlichen Engagement ist längst ein Hauptberuf in einer Organisation geworden, die anderen Menschen in Not dienen soll. Seit 25 Jahren macht sich der Bayerische Flüchtlingsrat für Menschen ohne Heimat und ohne Lobby stark. Für Verfolgte, Vertriebene und Gequälte, für Menschen, die in der Regel mehr brauchen als ein Dach über den Kopf, Kleidung und etwas zu Essen. Für Menschen, die vor allem auf der Suche nach Menschlichkeit sind.
Dabei hatte alles ganz bescheiden begonnen. 1986 sollte der Flüchtlingsrat lediglich als Dachorganisation von Asylinitiativen und Flüchtlingsberatern aus ganz Bayern fungieren. Er versorgte seine Mitglieder mit neuesten Informationen zum Ausländerrecht, vermittelte Hilfsbedürftige an Beratungsstellen und organisierte bayernweite Treffen. Als sich mit der weltpolitischen Lage auch die Problematik verschärfte, erweiterten sich jedoch die Aufgaben des Flüchtlingsrates. Hatten 1988 allein in Bayern insgesamt 17782 Menschen Asyl beantragt, so waren es zwei Jahre später mit 32071 Menschen beinahe doppelt so viele. Der Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien tat Anfang der Neunziger sein Übriges, dass immer mehr Menschen auch nach Bayern flohen. 1992 beinahe 60000 Menschen — bundesweit waren es 438000.
Also musste der Flüchtlingsrat auch zunehmend praktische Arbeit leisten, Rechtsanwälte vermitteln, eine eigene Beratung anbieten, aber auch in all den Einzelfällen, in denen es vor allem um drohende Abschiebungen ging, tätig werden. „Das ist bis heute das Schwierigste an dieser Arbeit“, sagt Matthias Weinzierl noch immer. „Es entwickeln sich ja persönliche Kontakte zu den Betroffenen. Das geht dann schon ans Eingemachte.“ Etwas, von dem man sich kaum freimachen könne. Selbst die Zeit des Bangens sei für alle — auch die Helfer — eine „schlimme Phase“
Dennoch. Als unabhängige Flüchtlingsorganisation mit 400 Mitgliedern hat sich der Bayerische Flüchtlingsrat als wichtiges Korrektiv und unbequemer Fragensteller einen Namen gemacht. „Wir haben es geschafft, aus einer Nische zu kommen“, sagt Weinzierl. Am Anfang sei man mit seinem Engagement zuweilen doch leicht in die kriminelle Ecke geschoben worden. „Heute werden wir ernst genommen.“ So sehr, dass zum Jubiläum selbst namhafte CSU- und FDP-Politiker Grußworte schrieben.
„Sicher haben wir als Organisation viel erreicht. Doch was die Großwetterlage betrifft, so haben wir mit der Abschaffung des Grundrechts auf Asyl verloren“, sagt Weinzierl und meint damit den so genannten Asylkompromiss, der das Grundrecht auf Asyl 1993 erheblich einschränkte. Wer seitdem über einen sicheren Drittstaat oder aus der EU eingereist ist, kann sich nicht mehr auf das Asylrecht berufen. Das habe die Arbeit schwieriger gemacht. Dennoch gibt es Erfolgsgeschichten, wie die einer Familie aus dem Irak. Die sollte nach Schweden abgeschoben werden. Nach monatelangem Kampf und zwei Monaten Kirchenasyl in Coburg kann die christliche Familie nun doch Asyl beantragen. Andere mussten Jahre dafür kämpfen und brachten wahre Odysseen hinter sich.
Und so wird der Flüchtlingsrat nicht müde, Missstände bei der Unterbringung von Flüchtlingen zu kritisieren, aber auch den Umgang der bayerischen Staatsregierung mit Flüchtlingen im Allgemeinen und die gängige Abschiebepraxis sowie die Politik der EU. „Wir können uns nicht einfach nur auf Bayern konzentrieren, sondern müssen auch viel mehr über Deutschland und die Welt reden“, so Weinzierl. Glaubhafte Flüchtlingssolidarität lasse sich nicht auf die Grenzen Bayerns beschränken. Auch wenn hier genug zu tun bleibt. Da wäre zum Beispiel der 26-jährige Mann aus Sierra Leone, der vor zehn Jahren vor dem Bürgerkrieg geflohen war und heute in einem Restaurant sein Geld verdient. Seinen Platz hat er hier gefunden, in einer Heimat wartet nichts auf ihn. Ihm droht dennoch die Abschiebung.