Mainpost, 30.01.2012

Selbstmord in Asylheim: Trauer um Flüchtling

Mohammad R. aus dem Iran hat sich das Leben genommen. Landsleute sind entsetzt und wütend.

 

Sie haben eine Art Altar am Haus 305 aufgebaut, direkt hinter dem Eingang zur Würzburger Gemeinschaftsunterkunft (GU) für Asylbewerber. Eine iranische Flagge haben sie dort ausgebreitet, Blumen darauf gelegt und Kerzen hingestellt – außerdem drei Teller mit Halva-Teig, so wie es üblich ist im Iran, wenn jemand stirbt.

Einige Männer debattieren lautstark in der Januarkälte, andere sind schweigsam, eine Frau weint. Was sie an diesem Tag eint, ist die Trauer um einen der Ihren. Der 29-jährige Mohammad R. aus dem Iran hat sich in der Nacht auf Sonntag in seinem Zimmer erhängt. Es ist der erste Suizid im Asylbewerberheim an der Veitshöchheimer Straße seit der Öffnung 1992. Unter den aktuell 447 Bewohnern sind laut Regierung von Unterfranken 57 Iraner. Besonders die Landsleute des Toten sind schockiert, traurig – aber auch wütend.

Es war am späten Samstagabend. Während seine Freunde im dritten Stock im Haus 305 zusammensaßen, hatte sich R. zurückgezogen. Sein Mitbewohner Hussein Bahrami Nejad berichtet, er habe nach ihm schauen wollen. Doch das gemeinsame Zwei-Mann-Zimmer war abgeriegelt. Da alarmierte er Sicherheitsdienst und Polizei. Die fand R. nur noch tot. Einen Abschiedsbrief gibt es nicht.

In der Rückschau erscheint es, als habe sich das Unglück an diesem Samstag irgendwie angebahnt. Am späten Nachmittag, so erzählen andere Flüchtlinge, habe R. über Kopfschmerzen geklagt. Es gehe ihm nicht gut. Daraufhin wurde über die Pforte der Notarzt verständigt. Ein Krankenwagen brachte ihn zur Untersuchung in die Uniklinik. Nach Angaben von GU-Leiter Armin Sauermann kehrte der Iraner gegen 20.30 Uhr wieder aus dem Krankenhaus zurück.

Als auffallend ruhig wird Mohammad R. von Mitbewohnern und Heimleitung beschrieben, als sehr kontrolliert: kein Alkohol, keine Zigaretten. Dafür machte er, in seinem Zimmer, viel Sport. Er trainierte mit Hanteln. Der Familienvater – er hinterlässt im Iran seine Frau und einen achtjährigen Sohn – war in seiner Heimat im Polizeidienst. Bis er eines Tages, so erzählen es die Freunde, den Befehl verweigerte. Er sei gefoltert worden. Dann floh er nach Deutschland. Nach zwei Monaten in der Zirndorfer Erstaufnahme-Einrichtung kam er Anfang September nach Würzburg. Sein Asylantrag lief, bislang ohne Ergebnis. Die Unsicherheit, sagen die anderen, habe ihm zu schaffen gemacht. Auch die Lebensumstände in der GU in der Veitshöchheimer Straße.

Wiederholt, das berichten unabhängig voneinander gleich mehrere Bewohner, habe er die Atmosphäre in der ehemaligen Kaserne beklagt: Es sei hier wie im Gefängnis. Die Umgebung erinnere ihn ständig an die Polizei, an das Gefängnis im Iran, an die Folter. Auch gegenüber Ärzten soll er dies geäußert haben. Mohammad R. wollte angeblich das Heim wechseln, wäre gerne in die Kölner Gemeinschaftsunterkunft umgezogen, weil dort seit einem Jahr seine Schwester lebt. „Aber sein Antrag ist abgelehnt worden“, berichtet der iranische Asylbewerber und Journalist Arash Zehforoush. So wie der Antrag etlicher Iraner, die die Ex-Kaserne in Würzburg gerne verlassen wollen.

Immerhin: Zweimal durfte R. für jeweils zehn Tage seine Schwester in Köln besuchen. Zuletzt hatte er laut Regierung eine Genehmigung bis 15. Januar. Doch R. verlängerte seinen Besuch bei der Schwester ohne Erlaubnis. Seine iranischen Freunde in Würzburg waren darüber informiert. Für Heimleitung und Regierung dagegen galt er als „untergetaucht“. Am Wochenende kehrte Mohammad R. schließlich nach Würzburg zurück.

Der 29-Jährige muss sich seit seiner Ankunft im September deutlich verändert haben. Als „lebensfrohen Menschen“ hätten sie ihn kennengelernt, sagen iranische Freunde. Er habe am Anfang noch gelacht, auch getanzt. Doch im Laufe der Monate habe ihn die Situation im Würzburger Flüchtlingsquartier immer mehr bedrückt. „Er war aktiv, wollte sein Leben in die Hand nehmen“, erzählen sie. Doch er fühlte sich eingesperrt: „Ich kann doch nicht dauernd in meinem Zimmer bleiben“, soll er geklagt haben. Dass andere Iraner teils fünf oder sieben Jahre in dieser perspektivlosen Lage leben – das habe ihn fertiggemacht. So fertig, dass er zuletzt sogar einen Antrag auf Rückkehr in den Iran gestellt hat, wissend um die Gefahr, die ihm dort durch das Regime drohen würde.

Vor Weihnachten hatte sich seine psychische Verfassung offenbar weiter verschlechtert. „Er ist depressiv geworden“, berichtet sein Zimmergenosse. Knapp zwei Wochen lang wurde er in der geschlossenen Psychiatrie behandelt. Dann kam er wieder in die Gemeinschaftsunterkunft. Nach seinem Suizid haben einige Landsleute zwei Laken an das Haus 305 gehängt: „Er ist für Freiheit gestorben“, steht darauf. Und: „Er war auf der Suche nach der Freiheit. Das ist das Ergebnis.“

Mit diesen Transparenten sind rund 70 Asylbewerber am Montag für eine spontanen Trauerkundgebung zum Würzburger Vierröhrenbrunnen gezogen. Kerzen haben sie angezündet und damit ein fotokopiertes Bild des Toten umrahmt. Sie suchen ein Ventil für ihr Entsetzen, für ihre Gefühle, die Hassan Hosseinzadeh – unwidersprochen von anderen Iranern – so zusammenfasst: „Wir sind alle gestorben. Wir atmen, wir leben nicht.“ Die Demonstration sei eine Mahnung, Mohammad R. nicht zu vergessen, und: „Ein Appell, damit nicht einer von uns den Nächsten im Zimmer findet.“ Es ist die Angst von Asylbewerbern, die ebenfalls das Lagerleben in der GU bemängeln. Rund 70 Bewohner, das bestätigt die Heimleitung, haben am Montag ihr Essen nicht abgeholt. Während GU-Chef Sauermann dies mit religiösen Motiven trauernder Muslime erklärt, sprechen die Iraner von einer gezielten Protestaktion, an der sich auch Asylbewerber anderer Herkunft („mehr als 70“) beteiligten. Auch Dienstag und Mittwoch wolle man das Essen verweigern.

Einer hat einen Zettel an den Altar am Haus Nummer 305 gehängt und auf Persisch geschrieben: „Wir haben unser Zuhause verloren. Hier zeigt man mit dem Finger auf uns.“ Es steckt der Vorwurf darin, dass die äußeren Umstände in Deutschland, in Würzburg, Mohammad R. in den Tod getrieben hätten. Andere Flüchtlinge sind da zurückhaltender, sprechen von einer persönlichen Ausweglosigkeit. Gleich wie – der Tod von Mohammad R. wühlt nicht nur die Iraner in der Gemeinschaftsunterkunft auf. An einem Ort, der doch Zuflucht sein soll, und nicht Sackgasse.

Von Andreas Jungbauer

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