TAZ, 26.01.2010
Schwarz-Gelb schiebt weiter ab
Inhaftierungen in Syrien
Bremen taz
| Drei Mal in Folge verschwanden Flüchtlinge direkt nach ihrer
Abschiebung aus Deutschland in syrischen Gefängnissen – jetzt soll der
Bundestag einen Abschiebestopp beschließen. Übermorgen debattiert der Innenausschuss über
einen Antrag der Grünen. Die fordern, ebenso wie die Linkspartei, das
Rücknahmeabkommen mit dem Assad-Regime in Damaskus sofort auszusetzen.
Geht es nach den Grünen, soll der Beschluss schon am Donnerstag in
zweiter und dritter Lesung im Plenum besiegelt werden.
Ex-Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte das Abkommen seinerzeit
ausgehandelt, um über 7.000 Geduldete nach Syrien abschieben zu können.
Im Sommer machten die ersten Ausländerbehörden Gebrauch von der
Regelung – mit teils fatalen Folgen. Zwischen August und Oktober wurden
ein junger Kurde, eine schwangere 25-jährige und eine 55-jährige Witwe
mit vier Kindern nach ihrer Ankunft in Damaskus verhaftet. Teils gab es wochenlang keine Informationen
über ihren Verbleib. Syrien warf ihnen „Beschädigung des Ansehens
Syriens im Ausland” vor – wohl wegen dem, was die Flüchtlinge in ihren
abgelehnten Asylanträgen in Deutschland vorgebracht hatten. Das Auswärtige Amt nennt die
Menschenrechtslage unter dem syrischen Autokraten al-Assad
„unbefriedigend”, es gebe „Folter, Misshandlung von Gefangenen und
,Verschwindenlassen'.” Laut der Gesellschaft für bedrohte Völker wird
„schon für kleine kritische Bemerkungen über das Regime systematische,
grausame Folter” angewendet. Fünf Menschen starben nach Angaben von
Amnesty International 2008 in syrischen Gefängnissen. In einem „Ad Hoc-Lagebericht” bestätigt das
Auswärtige Amt die Verhaftung der Abgeschobenen – und klagt darüber,
dass die Syrer selbst deutsche Diplomaten auflaufen lassen: „In allen
drei Fällen hat das Auswärtige Amt die syrischen Behörden um Auskunft
gebeten, doch die syrische Seite hat nicht reagiert,” heißt es in dem
Bericht. So blieb der Botschaft nur, „sich zu bemühen, den Sachverhalt
durch zivilgesellschaftliche Kontakte aufzuklären.” Es sei
„realistisch” zu erwarten, dass die Angeklagten für „Beschädigung des
Ansehens Syriens” zwei bis drei Jahre ins Gefängnis kommen. Freisprüche
jedenfalls seien nach solchen Anklagen bisher „nicht bekannt geworden,”
schreibt das Amt. Kurz vor Weihnachten sah sich das
Innenministerium zum Handeln veranlasst. Am 22. Dezember bat es die
Länder in einem Rundschreiben, vorerst nicht mehr nach Syrien
abzuschieben, weil dies derzeit „problematisch” sei. Stattdessen
sollten die Ausländerbehörden abgelehnte Asylbewerber auf die
Möglichkeit hinweisen, einen Asylfolgeantrag zu stellen. Das Bundesamt
für Flucht und Migration wurde gebeten, Asylanträge aus Syrien
zurückzustellen oder nicht als „offensichtlich unbegründet” abzulehnen.
Niedersachsen versuchte es trotzdem noch
einmal: Am 5. Januar um fünf Uhr morgens wurde der 48-jährige
Abdeloehab Hussein von Polizisten und Mitarbeitern der Ausländerbehörde
des Landkreises Wesermarsch aus dem Bett geholt. Sie gaben dem Kurden,
der seit 2001 dort lebt, 30 Minuten Zeit zu packen und sich von seiner
Frau zu verabschieden. Dann fuhren sie den abgelehnten Asylbewerber zum
Frankfurter Flughafen. Der niedersächsische Flüchtlingsrat schaltete
einen Anwalt ein, der die Abschiebung mit knapper Not stoppen konnte. „Es muss ein förmlicher Abschiebstopp her. Es
kann nicht sein, dass jede Ausländerbehörde das Spiel soweit treiben
kann, wie sie will,” sagt Bernd Mesovic von ProAsyl. „Der Skandal war,
dass man mit einem Folterstaat wie Syrien überhaupt ein Abkommen
geschlossen hat.” Das Regime sei „nicht vertragsfähig, die halten sich
an nichts,” meint Mesovic. Die Migrations-Referentin der grünen
Bundestagsfraktion, Jutta Graf, geht noch weiter: „Ein bloßer
Abschiebestopp wäre zu wenig,” sagt sie. Das nicht einmal Anfragen der
deutschen Botschaft beantwortet werden sei ein klares Signal. „Das
heißt: 'Haltet euch raus'. Solche Fälle kann es jederzeit wieder
geben.” Das Bundesamt für Flucht und Migration müsse dies bei
Asylverfahren berücksichtigen: „Syrische Asylbewerber die hier sind
müssen anerkannt werden,” fordert Graf. Ob der Grünen-Antrag am Mittwoch durchgeht,
ist jedoch fraglich. Im Innenausschuss haben Union und FDP die
Mehrheit, Vorsitzender ist der Münchner CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl.
Aus seinem Büro heißt es, die Fraktion sei „noch bei der
Sachverhaltsfindung”. Man räumt zwar ein, dass die Lage in Syrien
„problematisch” sei. Dass dies zu einer Kündigung des Abkommens führe,
sei aber „unwahrscheinlich”. Stattdessen sollten „Abschiebungen im
Einzelfall geprüft werden.” Viele hoffen, dass die FDP Druck auf ihren
Koalitionspartner macht. Der Berichterstatter der Liberalen für den
Innenausschuss, der Waiblinger Abgeordnete Hartfrid Wolff, hält die
Lage in Syrien für „tatsächlich besonders besorgniserregend.” Dass sich
manche Länder von den bisherigen Appellen nicht beeindrucken ließen,
sieht er kritisch: „Das Innenministerium von Niedersachsen ist für
seine fehlende Sensibilität in einigen Bereichen bekannt,” sagt er mit
Blick auf den gescheiterten Abschiebeversuch von Anfang Januar. Die Kündigung des Abkommens will Wolff
deshalb auch „für die Zukunft nicht ausschließen.” Ein Abschiebstop sei
aber „nur die Ultima Ratio.” Zuerst müsse man prüfen, ob „die
individuelle Lösung im Moment nicht die Beste ist” – die
Ausländerbehörden sollten „im Einzelfall konkrete Gefährdungen prüfen,”
bevor sie jemanden abschieben, findet Wolff. Für viele antirassistische Initiativen ist
dies nicht akzeptabel. „Dass es noch immer keinen offiziellen
Abschiebestopp gibt, belässt die Flüchtlinge in einem unerträglichen
Zustand der Angst,” sagt Tobias Klaus vom bayrischen Flüchtlingsrat. Am
Mittwoch will der Verband deshalb mit syrischen Flüchtlingen vor dem
Reichstagsgebäude protestieren.