Schongauer Nachrichten, 19.10.2009

Schlüssel zur Integration

Lebenssituation der Flüchtlinge – Demonstrationszug mit 120 Teilnehmern

Demonstration in Schongau am 17.10.2009. FOTO: JOS

Sie haben ihre Heimat verlassen, um in einem neuen Land ihr Glück zu versuchen, weil sie verfolgt, bedroht oder chancenlos waren: In Bayern landen Flüchtlinge dann in Auffanglagern wie dem im Industriegebiet-Ost nahe des Tierheims. Um auf ihre Situation und ihre Lebensverhältnisse, aber auch um auf ihre Wünsche und Träume aufmerksam zu machen, haben am Wochenende Bewohner des Schongauer Flüchtlingslagers gemeinsam mit Aktivisten des Bayerischen Flüchtlingsrates und des Netzwerks Deutschland Lagerland demonstriert. Den Auftakt machte eine Infoveranstaltung in den Räumen der Volkshochschule. Adama Sesay und Abdul Karim Kabbia berichten vor rund 60 Zuhörern über die Lebensbedingungen in den zwei Holzblöcken nahe des Tierheims, in denen rund 60 Flüchtlinge leben, die sich in schwebenden oder abgeschlossenen Asylverfahren befinden.

„Jeder Raum ist mit vier bis fünf Personen belegt, das ist vor allem für Familien mit Kindern schwer“, erklärt Sesay. „Wir haben für 30 Männer zwei Bäder und vier Toiletten“, ergänzt Kabbia. Er kommt aus Sierra Leone und will wie viele andere Leidensgenossen nur eines: Deutsch lernen um zu arbeiten, um sich integrieren zu können. „Aber beide Bäder kann man nicht gleichzeitig benutzen, weil zu wenig warmes Wasser da ist“, sagt er. Oder wenn in der Küche jemand Essen zubereitet, fehlt die Wärme im Bad.

Kabbia lebt mit zwei weiteren Flüchtlingen in einem Raum mit zwei Betten. „Wir haben ein Rotationsprinzip aufgestellt“, erklärt er. „Zwei von uns schlafen im Bett, der Dritte auf dem Stuhl, und am nächsten Tag wird gewechselt. Ist das menschwürdig?“, fragt er in die Runde. Schweigen.

Nach den Worten von Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat leben derzeit in Bayern derzeit rund 7500 Flüchtlinge in 117 Lagern. Nach dem „Asylbewerber-Leistungsgesetz“ und dem „Sachleistungsprinzip“ bekommt jeder von ihnen 40 Euro im Monat Taschengeld“, Kinder 20 Euro. „Das ist sehr schwer, ohne Arbeit für eine Familie damit über die Runden zu kommen“, spricht Adama Sesay allen Flüchtlingen aus der Seele. Gebrauchte Kleidung gebe es zwar auf Antragsschein bei der Caritas, aber alles andere müsse vom Taschengeld bezahlt werden.

Bei allem Dank für die Aufnahme in Deutschland und die Möglichkeit, hier leben zu dürfen, bitten und protestieren Sesay und Kabbia für die Schongauer und alle übrigen Flüchtlinge an diesem Abend und am Samstag bei einem Demonstrationszug vom Bahnhof bis auf den Marienplatz nur um eins: Schneller und besser Deutsch lernen zu können, als dies mit einer Unterrichtseinheit in der Woche möglich ist, sowie mehr Geld und bessere Lebensumstände zu bekommen. Aber vor allem darum, überhaupt und leichter an Arbeit zu kommen. „Denn im Lager zu leben, den ganzen Tag zum Nichtstun verdammt zu sein und nicht arbeiten zu dürfen, führt zu Frustration und psychischen Problemen“, erklärt Abdul Karim Kabbia.

Das Problem: Hat ein Flüchtling eine potentielle Arbeit gefunden, muss er dies beim Landratsamt melden. Die Behörden prüfe dann vier bis sechs Wochen, ob nicht ein deutscher oder ein EUausländischer Arbeitsuchender diese Arbeit haben möchte. Erst dann dürfe der Flüchtling diese Arbeit annehmen. Aber auch erst im zweiten Jahr – im ersten Jahr gilt ein generelles Arbeitsverbot für Flüchtlinge. „Erst ab dem vierten Jahr in Deutschland haben sie freie Arbeitsmöglichkeiten – das ist reine Ausgrenzungsstrategie“, sagt dazu Alexander Thal.

Eine Verbesserung erhoffen sich Flüchtlinge und die sie unterstützenden Organisationen von den aktuellen Koalitionsverhandlungen in Berlin: Denn dort will die FDP eine Abkehr vom besagten Sachleistungsprinzip durchsetzen. Bei Erfolg steigen die Aussichten auf die Abschaffung aller Lager, und die Flüchtlinge würden in eigenen Wohnungen untergebracht. Auch im Bayerischen Landtag wird darüber derzeit diskutiert.

Martin Conte – ein in Schongau lebender Flüchtling, ebenfalls aus Sierra Leone – bringt die Stimmung und die Lage der Flüchtlinge im weiteren Verlauf des Abends aus den Punkt: „Um uns zu integrieren, müssen wir zuallererst die Sprache lernen. Also kommen Sie alle auf uns zu und helfen Sie uns, die Lager zu schließen“, sagt er in Richtung aller Schongauer. Denn erst durch Eigenverantwortlichkeit in Sachen Wohnung und Arbeit wären die Flüchtlinge in der Lage, ihren eigenen ökonomischen Beitrag zu leisten, um nicht immer vom deutschen Staat und anderen Menschen abhängig zu sein.

Von Jochen Schröder

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