Frankfurter Rundschau, 20.06.2012

Schäbiges Asylgesetz

Asylrecht BVG Kommentar

Mitglieder von Pro Asyl und dem Kampagnennetzwerk Campact demonstrieren vor dem BVG in Karlsruhe für die Menschenwürde. Foto: dpa


Asylbewerber bekommen rund 40 Prozent weniger Geld als Hartz-IV-Empfänger. Ist das mit der Menschenwürde vereinbar? Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht aus.

Man schrieb das Jahr 1993. Millionen von Menschen aus Jugoslawien suchten Zuflucht vor dem Bürgerkrieg. Allein in Deutschland wurden in jenem Jahr über 300.000 Asylanträge gestellt. So groß war der Andrang der Flüchtlinge, dass Helmut Kohls Bundesregierung die Reißleine zog. Das Asylrecht in Deutschland wurde, aller öffentlichen Proteste ungeachtet, dramatisch verschärft.

Als Teil dieser Asyl-Eindämmungsstrategie wurde damals auch ein neues Asylbewerberleistungsgesetz verabschiedet, mit dem die Ansprüche von hilfsbedürftigen Flüchtlingen gegenüber dem deutschen Staat erheblich reduziert wurden. Mit voller Absicht entschied man damals, dass Asylbewerber nicht nur deutlich weniger Unterstützung bekommen sollten als Sozialhilfeempfänger, sondern dass die Hilfe überwiegend als Sachleistung ausgezahlt werden sollte. Das sollte Schnorrer abschrecken.

Heute, 19 Jahre danach, gilt das Asylbewerberleistungsgesetz immer noch. Und zwar mit exakt denselben Leistungen: Nicht ein einziges Mal in dieser langen Zeit wurden die Sätze an die Inflation angepasst. Und so kommt es, dass Asylbewerber bei uns heute neben einem kärglichen Nahrungsmittel- und Kleidungspaket gerademal 40,90 Euro im Monat für ihren persönlichen Bedarf ausgezahlt bekommen, für alle Ausgaben vom Telefongespräch bis hin zu den Anwaltskosten.

Knapp 80.000 Menschen betroffen

Offensichtlich unzureichend, hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen befunden, und das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt. Nicht nur, dass Asylbewerber insgesamt 40 Prozent weniger bekommen als Hartz-IV-Empfänger, bei denen ja auch nur das menschenwürdige Existenzminimum gesichert werden soll. Bei der Berechnung der Sätze des Asylbewerberleistungsgesetzes ist auch überhaupt nicht berücksichtigt worden, welchen Bedarf Flüchtlinge überhaupt haben.

Die Organisation Pro Asyl schätzt, dass heute knapp 80.000 Asylbewerber Leistungen aufgrund dieses umstrittenen Gesetzes erhalten. Diese Zahl, denkt man an die 90er-Jahre zurück, kommt einem niedrig vor. Sie erklärt sich auch nicht nur aus Kohls restriktiver Asylgesetzgebung. Viel wichtiger waren die EU-Regelungen, die das Land, in dem ein Flüchtling zuerst europäischen Boden betritt, für dessen Unterbringung verantwortlich macht.

2011 beantragten nur 45.000 Menschen Asyl in Deutschland. Aber auch sie dürfen sich immer noch nicht selbst ihren Unterhalt verdienen. Während ihrer ersten zwölf Monate in Deutschland ist es Asylbewerbern und Geduldeten immer noch verboten, arbeiten zu gehen.

Schäbig war das Asylbewerbergesetz mit seiner absichtlichen Diskriminierung von schutzsuchenden Fremden schon zu Kohls Zeiten; noch viel schäbiger ist es heute. Es ist kaum vorstellbar, dass das Bundesverfassungsgericht, das die Bundesregierung auch die Hartz-IV-Sätze hat nacharbeiten lassen, um die Menschenwürde zu wahren, dieses Gesetz unbeanstandet passieren lässt.

Bettina Vestring

Quelle: Frankfurter Rundschau

Zurück