Süddeutsche Zeitung, 20.02.2013

Saids Odyssee

Einem 15-jährigen Buben aus Somalia droht die Abschiebung nach Italien. Dabei hat er in Garmisch-Partenkirchen erstmals in seinem Leben Wurzeln geschlagen.

Garmisch-Partenkirchen – Der 15-jährige Said hat am 28. Februar Geburtstag, und er zählt bereits die Tage bis dahin – aber nicht voller Vorfreude, wie dies viele andere Gleichaltrige in Garmisch-Partenkirchen tun würden. Dort ist Said Mahamad Tohow in einer heilpädagogischen Wohngruppe untergebracht. Die Angst steigt in ihm hoch, wenn er auf den Kalender blickt. Zwei Tage vor seinem 16. Geburtstag soll der Jugendliche aus demvom Bürgerkrieg erschütterten Somalia laut einem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge Deutschland verlassen– das Land, indemernun fast drei Jahre lang so etwas wie Sicherheit erlebt hat. Saidsoll zurücknach Italien, das erste europäische Land, das er nach seiner Flucht quer durch Afrika betreten hat.

Die derzeitige Situation könnte nicht nervenzerreißender sein: Wie der Bayerische Flüchtlingsrat gerade erst erfahren hat, wurde Saids Flug für den 26. Februar storniert. „Dieses Storno lässt sich aber jederzeit widerrufen“, sagtTobias Klaus, der sich für den zierlichen Jugendlichen einsetzt. Bleibt noch der Petitionsausschuss des Bayerischen Landtags. Der hat ein gewichtiges Wort dabei mitzureden, ob Said bleiben darf. Aber es gibt Irritationen. „Der Petitionsantrag wurde kurzfristig für diesen Mittwoch auf die Liste gesetzt – und ebenso schnell wieder runtergenommen“, hat Klaus aus dem Landtag erfahren.

Nach Ansicht des Bundesamtes handelt es sich bei dem EU-Mitglied Italien durchaus „um einen sicheren Drittstaat“, der „trotz einzelner Missstände“ über ein funktionierendes Asylverfahren verfüge. Auch wenn es vereinzelt „zu Problemen bei der Unterbringung von Schutzsuchenden“ komme„und diemedizinischeVersorgung nicht immer optimal ist“, sei es durchaus zu verantworten, Asylbewerber nach Italien zu überstellen. „Ich habe Angst, wieder dorthin zurück zu müssen“, sagt indessen Said.Selbst beidiesen Worten lächelt er. Es ist kein fröhliches Lächeln, sondern das hilflose Wegducken eines traumatisierten Menschen, der brutale Gewalt erfahren hat. Saids Mutter hatte ihren Sohn im Alter von neun Jahren zur Flucht gedrängt. „Du musst jetzt gehen“, so echot er ihre Worte. Als dieMutter das sagte,war Saids Vater – ein Polizist – bereits von radikalislamischen Milizionären ermordet worden. Zwei seiner Brüderwaren ebenfalls tot. Die Al-Shabaab-Miliz hatte die Bubenzumbewaffneten Einsatz gezwungen. Davon waren sie nicht zurückgekehrt, und nun war Said an der Reihe.

Ihm gelang die Flucht. Zwei Jahre lang irrte er durch Äthiopien und den Sudan, wurde aufgegriffen, ins Gefängnis gesteckt. „Sie haben geschlagen“, sagt er so leise, dass man ihn kaum versteht. Er sagt es so, als gäbe es da noch Dinge zu berichten, die er gar nicht erst hochkommen lassen will. Soviel steht fest: Über Libyen schaffte er die Flucht nach Europa, und so gelangte er im Februar 2008 im Alter von elf Jahren in einem Boot zur italienischen Insel Lampedusa. Die nächsten Monate verbrachte er auf Sizilien in einem Flüchtlingsheim für Minderjährige. „In dieser Zeit“, so berichtet Tobias Klaus, dem sich Said anvertraut hat, „war er massiven Aggressionen von Mitflüchtlingen ausgesetzt.“ Said floh erneut, schlug sich in die Niederlande durch.Vondortwurde er nach Italien zurückgeschickt und landete dieses Malin Florenz in einem Haus, indemeskeinerlei Betreuung, kein fließendes Wasser, keinen Strom und nicht einmal feste Betten gab. So floh der Bub wieder – dieses Mal nach Deutschland.

Seit fast drei Jahren lebt er nun in Garmisch-Partenkirchen. Dort ist er bei vielen beliebt. Einige seiner Lehrer haben sich mittlerweileans Bundesamt gewandt – mit der Bitte, Said nicht nach Italien zu überführen, sondern ihn in ihrer Schule den Abschluss machen zu lassen. Der 15-Jährige sei ein so fleißiger Schüler, dass sie ihm jederzeit einen guten Mittelschulabschluss und womöglich gar den Quali zutrauen. „Es wäre schlimm, wenn wir auf ihn verzichten müssen. Said ist immer für die anderen Jugendlichen hier im Zentrum da, wenn es einem mal schlecht geht“, sagt auch Wolfgang Sailer, Sozialpädagoge am Jugendzentrum Garmisch-Partenkirchen.

Nun aber liegt alles zunächst einmal in der Hand der Politiker. Die Landtagsabgeordnete Maria Scharfenberg (Grüne) sieht für Said eine Chance. Das Innenministerium habe signalisiert, dass es auf eine Überführung nach Italien verzichtet un den Buben hier ins Asylverfahren nimmt. Das bestätigt auch Sylvia Stierstorfer (CSU), die stellvertretendeVorsitzende desPetitionsausschusses. Doch, so mahnt Scharfenberg, zum Jubeln sei es zufrüh. Saids Petition kommenunwahrscheinlich im April im Ausschuss zur Sprache. Sodann sei offen, ob die Härtefallkommission Said ein Bleiberecht gewährt. Im Moment hat der 15-Jährigenur einen einzigen Geburtstagswunsch: „Hierbleiben.

 

Quelle: Süddeutsche Zeitung

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