Main-Echo, 16.10.2010
Rundum regiert der Rost
Asylbewerberheim: Bayerischer Flüchtlingsrat besichtigt Gemeinschaftsunterkunft - »Menschenunwürdige Zustände«
Die Heizung heizt ohne Unterlass, weil das Thermostat kaputt ist. »Seit einem Jahr«, sagen die Männer aus dem Asylbewerberheim. Sie haben Schranktüren zur Abschirmung davor gestellt, die Fenster sind geöffnet. Im Vier-Mann-Zimmer herrschen gefühlte 40 Grad.
»Menschenunwürdige Zustände« in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in Aschaffenburg kritisiert der bayerische Flüchtlingsrat, der das »Lager« am Donnerstag besucht hat.
Genauso sieht es Landtagsabgeordneter Hans Jürgen Fahn (Freie Wähler, Erlenbach). Die verantwortliche Regierung von Unterfranken weist das zurück, bestätigt aber Sanierungsbedarf. »Es ist bekannt, dass das Unterbringungsniveau in Aschaffenburg schlechter ist als in Würzburg«, sagt Pressesprecher Johannes Hardenacke. Dabei hat die ARD das Würzburger Heim vergangenes Jahr in den Tagesthemen als schlimmste Unterkunft Bayerns vorgestellt.
200 000 Euro hat die Bezirksregierung in den vergangenen zwei Jahren in die ehemalige US-Kaserne in der Schweinfurter Straße investiert. Weitere 65 000 Euro stehen für 2010 bereit. Neueste Errungenschaft im Männerhaus sind Abtrennungen in den Gemeinschaftsduschen. Vier Nasszellen für durchschnittlich 46 Männer in jedem der drei Stockwerke. Die Mindeststandards des Sozialministeriums schreiben eine Dusche für zehn Personen vor. »Doch die gelten nur für neue Unterkünfte«, schränkt Hardenacke ein. Bei bestehenden Einrichtungen entscheide das Haushaltsbudget über Verbesserungen.
In der Dusche ist es kühl und feucht, der Putz bröckelt von der Decke. In einer Toilette fehlt die Tür, die anderen lassen sich nicht abschließen. Eine Maus läuft durch die Küche. Fenster schließen nicht, rundum blättert die Farbe, regiert der Rost. Ein älterer Serbe nimmt es mit Humor. »Kommen Sie jede Woche«, lacht er, »dann wird hier jedes Mal vorher etwas verbessert.« Für die Besucher habe die Hausverwaltung eigens putzen lassen. Ein Ein-Euro-Jobber aus der Unterkunft erledigt das für die Männer. Die Familien müssen selber putzen.
Zu gut 90 Prozent ist die Aschaffenburger Gemeinschaftsunterkunft derzeit ausgelastet. 320 Menschen (Stand 15. Oktober) leben im Asylbewerberheim, darunter 71 Kinder. Sie verteilen sich auf ein Männerhaus, zwei Familienhäuser und ein Haus für Frauen und Kinder. Die meisten kommen aus dem Irak, Iran, Äthiopien und Afghanistan. Mehr als 350 Menschen sollten es bei »sozial optimierter Belegung« laut Regierung nicht sein.
Dennoch könnten bald weitere hinzukommen, denn die Zahl der Flüchtlinge steigt wieder. 2007 kamen 219 Asylsuchende nach Unterfranken, 2009 338, bis 15. Oktober 2010 waren es 526. Zudem könnten bald Bewohner der Würzburger Unterkunft nach Aschaffenburg verwiesen werden, wenn Würzburg Erstaufnahmeeinrichtung wird. Das ist derzeit im Gespräch. Genaueres aber weiß auch Bezirkssprecher Hardenacke nicht.
In Aschaffenburg gibt es auch so genug Probleme. Im Familienhaus bitten die Frauen: »Helfen Sie!« Viele leben seit über zehn Jahren dort. Im zweiten Stock teilen sich acht Familien (27 Personen) zwei Duschräume ohne Abtrennungen, sechs Toiletten ohne Schlösser und eine Waschmaschine. Die Maschine läuft im Dauerbetrieb. Das Abwasser fließt auf den Boden, der Ablauf ist defekt, niemand greift ein.
Frauen und Männer klagen über Lärm, Schlaflosigkeit, nervliche Belastung, Angst, Perspektivlosigkeit, Krankheiten. Der Sohn einer Familie aus Palästina hat Asthma, der Nachbar, bei dem die Heizung kaputt ist, raucht auf dem Flur. Alle wollen raus.
»Eine seltsame Stimmung« in der Unterkunft registriert Alexander Thal vom bayerischen Flüchtlingsrat nach vielen zermürbend hoffnungslosen Gesprächen. In Würzburg sei das besser. In Aschaffenburg dominiert Misstrauen das Verhältnis der Bewohner zur Hausverwalterin, Beschwerden fruchteten nicht, behaupten sie geschlossen. Niemand will öffentlich Gesicht zeigen, seinen Namen nennen, weil man Nachteile befürchtet.
Bezirkssprecher Hardenacke will diesen Vorwürfen nachgehen. »Wenn Bewohner sich vor Ort nicht trauen, können sie sich auch an uns wenden«, sagt er.
Winfried Katholing vom Caritas-Verband betreut die Bewohner seit 17 Jahren. Er sieht nicht alles negativ: »Die Baumaßnahmen sind ein Riesenschritt.« Die Duschabtrennungen stehen ganz oben auf seiner Forderungsliste, die er voriges Jahr bei der Regierung eingereicht hat. »Die Sanitäranlagen müssen in allen Gebäuden auf modernen Stand«, fordert er. Weg will er auch von den Viererzimmern. Eingezogene Wände sollen etwas Privatsphäre schaffen, denn: »Da ist nie Ruhe«, so Katholing. Auch fordert er, dass in die Praxis umgesetzt wird, was der Landtag vor der Sommerpause beschlossen hat: Familien sollen ausziehen können. Einige erfüllten alle Voraussetzungen. »Sie warten ohne Grund.« Dass es keine Wohnungen gibt, bestreitet er. »Es gibt wenige und die Wartezeiten liegen bei drei bis sechs Monaten.«
Sonja Maurer de Aguirre