Süddeutsche Zeitung, 10.08.2009

Resignation und Rebellion

"Deutschland Lagerland": "Crossing Munich" zeigt eine Filmreihe über Flüchtlinge in Deutschland

Sedat steht am Fenster und singt. Er hat dunkle Haut, eine schwarze Kappe bedeckt seine kurzen Haarstoppeln. Er hält seinen Kopf schief, damit er zwischen den Eisenstangen vor seinem Fenster hindurch schauen kann. Sedat steht in seiner Zelle im Abschiebegefängnis Rottenburg bei Stuttgart.

"Wir waren gerade im Hof und haben die Zäune und Gitter abgefilmt", sagt Sarah Moll. Sie hat als Abschlussarbeit für ihr Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg einen Dokumentarfilm über das Abschiebegefängnis gedreht, in dem auch Sedat einsitzt. "Und als wir gefilmt haben, entdeckten wir ihn plötzlich und hielten die Kamera auf ihn. Als er es merkte, hat er einfach weiter gesungen. Er war so sehnsuchtsvoll. Das hat mich berührt."

Ihr Film heißt "Die Unerwünschten". Er ist Teil der Filmreihe "Deutschland Lagerland", die von heute bis Mittwoch innerhalb der Ausstellung "Crossing Munich" in der Rathausgalerie gezeigt wird. Die Dokumentarfilme erzählen von Flüchtlingen in Deutschland - in Abschiebehaft wie Sedat oder in Asylbewerberheimen. Martina Mauer hat die Filme ausgewählt. Sie ist Mitglied der "Karawane München", einem Zusammenschluss aus Zugewanderten und Deutschen, die sich für die Rechte von Flüchtlingen engagieren. "Es gibt 118 Lager in Bayern", so Martina Mauer. Sie sagt "Lager", obwohl die Bezeichnung aufgrund von Assoziationen zu Lagern im Nationalsozialismus abgeschafft worden ist. "Wir wollen mit diesem Begriff auf die Realität hinweisen."

Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) machte die Realität der "Gemeinschaftsunterkünfte", wie es offiziell heißt, jüngst zum Politikum - leider erfolglos. Die Flüchtlinge im Asylverfahren müssen weiter in Mehrbettzimmern hausen und unterliegen zudem der Residenzpflicht, das heißt, sie dürfen den Landkreis, in dem sich ihre zugeteilte Unterkunft befindet, nicht verlassen.

Sedat muss in seiner Zelle bleiben. Der 21-jährige Türke kam illegal nach Deutschland, um seine Freundin zu heiraten, eine Griechin, die in Deutschland geboren wurde. Am dritten Tag nach seiner Ankunft wurde er bei einer Straßenkontrolle geschnappt. Seitdem sitzt er im Abschiebegefängnis in Rottenburg. "Ich bin an einen Ort gekommen, den ich nie für möglich gehalten hätte", sagt Sedat im Film. Dieser Ort ist ein Gefängnis im Gefängnis: Ein Containerbau, umzäunt und gesichert, im Innenhof eines Gefängnisses. "Hier wohnen zu 98 Prozent abgelehnte Asylbewerber oder illegal Eingereiste", so Filmemacherin Sarah Moll. "Sie verstehen nicht, warum sie wie Kriminelle behandelt werden." Mit drei Mann sitzen sie auf elf Quadratmetern, zwei Stunden am Tag haben sie Ausgang im Hof. "Die Menschen verändern sich im Abschiebegefängnis", erzählt die junge Regisseurin. "Wir haben von Juni bis September 2004 gedreht und die meisten haben in der Zeit resigniert oder rebelliert." Sarah Molls Film trägt diese Bilder nach außen. Zu Beginn der Dreharbeiten hat sie Flugblätter in acht Sprachen verteilt. Jeder sollte verstehen, warum auf einmal eine Kamera im Gefängnis dabei war. "Die authentischen Momente waren aber, wenn die Präsenz der Kamera plötzlich zurücktrat. Dann gab es nur noch den Kontakt, das Gespräch zwischen mir und dem einzelnen Menschen mir gegenüber."

In Brigitta Kusters Film "Rien ne vaut que la vie, mais la vie même ne vaut rien" ("Nichts ist wie das Leben, aber das Leben ist nichts") nimmt die Kamera eine zentrale Rolle ein. Brigitta Kuster bringt sie mit in ein Asylbewerberheim in Zerbst in Sachsen-Anhalt. Und lässt sie dort zurück. "Ich wollte einen Film machen aus dem Lager heraus", sagt Brigitta Kuster - auch sie benutzt den Begriff "Lager". Einen Monat lang blieb die Kamera an Ort und Stelle. Zunächst wurde sie an den Fernseher angeschlossen. So konnten die Bewohner wie in einem Spiegel sehen, was gefilmt wurde. "Am Anfang gab es viel Misstrauen", berichtet Brigitta Kuster. "Manche dachten, die Kamera käme vom Ausländeramt, um sie abzuhören." Aber dann übernahm einer von ihnen das Filmen: Mabouna Il Moise Merlin aus Kamerun. Die Bewohner sollten selbst bestimmen, wie sie mit der Kamera umgehen, was gedreht würde. So wurde der Film auch ein bisschen zum Selbstporträt.

Auch "Draußen bleiben" von Alexander Riedel ist ein Porträt. Es handelt von Suli und Valentina, zwei jungen Mädchen, die ihren Alltag in der Münchner Mädchen-Gang "Harras Ladies" behaupten. Bei einem Straßenfußballturnier hat der Regisseur die Kosovo-Albanerin Valentina kennengelernt, die sich aus Schule nicht viel macht und der schnell mal die Faust ausrutscht. Auch sie lebt mit ihrer Familie in einer Flüchtlingsunterkunft. Ihre beste Freundin Suli hingegen hat Glück gehabt: Die Uigurin wohnt mit ihren Eltern und Geschwistern in einer richtigen Wohnung und hat eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Jetzt will sie ihren Schulabschluss machen. "Jenseits gängiger Vorurteile wollte ich das Lebensgefühl dieser jungen Menschen aufspüren", so Alexander Riedel. Dieses Lebensgefühl unterscheidet sich gar nicht so sehr von dem junger Deutscher.

Alle drei Regisseure nehmen unterschiedliche Perspektiven ein, wenn sie über Flüchtlinge in Deutschland erzählen. Und alle üben mit ihren Bildern indirekt Kritik. Sarah Moll: "Wir lassen den Zuschauern Raum, sich selbst ein Bild zu machen." Ein Bild, das Unbehagen hinterlässt. Nicht nur wegen des Titels der Reihe. (Rathausgalerie, jeweils 20.15 Uhr. Im Anschluss diskutieren die Regisseure und Martina Mauer mit dem Publikum.)

GESA DÖRDELMANN

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