Stuttgarter Zeitung, 11.07.2012

Protest mit zugenähtem Mund

Hungerstreik in Würzburg

 

Es ist so heiß, dass einem das Eis auf die Schuhe tropft. Nur wenige Meter entfernt vom Protestpavillon vor der Marienkapelle, unter dem Mehdi Sajadi sich erfrischt, schlendern die Würzburger über die Kiliani-Messe. Für Sajadis Schicksal interessieren sich an diesem Sonntagnachmittag am Rande des Marktplatzes der unterfränkischen Residenzstadt nur wenige. Dabei ist es seine Geschichte wert, erzählt zu werden. „Zwei Jahre meines Lebens sind weg“, sagt er kopfschüttelnd. ­Seine jüngste Wendung nahm dieses Leben vor wenigen Tagen, als ihn die Nachricht vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg erreichte. Die Asylfälle von Sajadi und drei seiner Mitstreiter seien abgeschlossen, ob er bleiben darf, erfährt er aber erst im Laufe der Woche.

Als Reaktion auf die Neuigkeit beendeten die vier Männer noch am selben Tag ihre drastische Protestaktion, mit der sie in den Wochen davor bundesweit Aufsehen erregt hatten. „Wir mussten schockieren, vorher hat uns niemand ernst genommen“, erklärt der 24-jährige Iraner, was die Männer zu der umstrittenen Aktion getrieben hat. Um zu unterstreichen, wie ernst es ihnen mit ihrem Hungerstreik war, hatten sie sich die Münder zugenäht. 24 Tage lang nahm er nur Wasser mit einem Strohhalm zu sich. „Du fühlst dich unendlich schwach und kannst nichts tun“, beschreibt er seine Situation in dieser Zeit.

Ein Mitstreiter, der in einen trockenen Hungerstreik eingetreten war, also nicht einmal mehr Wasser trank, lag tagelang in   der Uniklinik. „Mohammad ist sehr schwach und blass und kann sich kaum mehr bewegen. Er hat starke Schmerzen in Niere und Leber“, twitterte ein Freund damals. Mittlerweile ist der Mann außer Lebensgefahr, erzählt Mehdi Sajadi und zündet sich eine selbst gedrehte Zigarette an.

Nach seiner Einreise saß er sieben Monate in Abschiebehaft

Am 13. Oktober 2010 betrat er zum ersten Mal deutschen Boden. Den Bahnhof in Memmingen verließ Sajadi kurz darauf in Handschellen. Wegen illegaler Einreise mit gefälschten Papieren verbrachte er sieben Monate in Abschiebehaft. In dieser Zeit gab es keinen Kontakt zur Familie in Teheran: „Meine Mutter hat gedacht, ich wäre tot.“ Was danach kam, war nicht viel besser, erinnert er sich. Zunächst musste er ins Sammellager nach Zirndorf. Die Zentrale Aufnahmeeinrichtung durchlaufen alle Ausländer, die als Flüchtlinge nach Bayern gelangen, bevor sie in verschiedene Asylbewerberheime im ganzen Freistaat überführt werden. Sajadi ging nach Augsburg. Seit mehr als einem Jahr teilt er sich dort ein 12-Quadratmeter-Zimmer mit zwei anderen Männern. Im Januar hat sich ein Iraner in einer Würzburger Gemeinschaftsunterkunft das Leben genommen, ein Mann, der noch kein Jahr dort gewesen ist. Andere warten vier oder fünf Jahre auf die Bearbeitung ihres Asylantrags.

Gegen die Zustände in maroden und überfüllten Unterkünften, die langen Verfahren, die Residenzpflicht und die zu­geteilten Essenspakete richtet sich die ­Protestaktion, die seit dem 19. März in Würzburg läuft. Immer wieder sind Asylbewerber für mehrere Tage oder Wochen in Hungerstreik getreten. Die meisten sind mittlerweile als politische Flüchtlinge anerkannt. Obwohl die Behörden eine Beschleunigung der Asylverfahren durch den Streik bestreiten, hat der Protest bereits Nachahmer gefunden: In Bamberg sowie in der Kleinstadt Aub im Landkreis Würzburg haben Demonstranten vergangene Woche ihre Zelte aufgeschlagen.

Im Iran drohen ihm Verhöre, Folter und Gefängnis

Ein Zurück gibt es für Mehdi Sajadi nicht. Im Iran würden ihm Verhöre, Folter und Gefängnis drohen. Er hat als Blogger kritische Artikel gegen die Regierung verfasst. „Sie benutzen die Religion als Keule gegen die Menschen“, sagt er. Die Massenproteste von 2009 hat Sajadi fotografiert und die Bilder im Internet veröffentlicht.

Seine Flucht begann an dem Tag, an dem der Geheimdienst an die Tür des elterlichen Hauses in Teheran klopfte. „Ich bin über den Balkon geflohen und habe mich mehrere Monate lang versteckt.“ Immer wieder seien die Männer gekommen und hätten die Eltern nach ihrem verschwundenen Sohn gefragt. „Ich wollte zurück, aber mein Vater hat gesagt, ich soll das Land verlassen.“ 20 000 Euro haben die gefälschten Papiere für ihn, seine Schwester und den Schwager gekostet. Die Flucht führte zunächst auf einem Lkw in die Türkei. Von da aus ging es weiter über Österreich nach Deutschland.

Nach seiner Anerkennung würde Mehdi Sajadi gerne dauerhaft in Würzburg bleiben, dort zunächst einen Deutschkurs ­machen, später vielleicht studieren. „Ich möchte ein normales Leben führen“, sagt der Iraner. Auch seine politische Arbeit möchte er unbedingt fortsetzen: „Ich will nicht nur den Pass, sondern mich auch für andere einsetzen. Für alle soll das gleiche Recht gelten.“ Am Dienstag musste Mehdi Sajadi wegen der Residenzpflicht erst einmal von Würzburg zurück ins Asylbewerberheim nach Augsburg, wo der 24-Jährige auf die nächste Wendung in seinem bewegten Leben wartet.

Von Thomas Thieme

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