Mainpost, 28.04.2009

Protest gegen den Stacheldraht

Wohlfahrtsverbände fordern Verbesserungen in Gemeinschaftsunterkünften

Der Bayerische Flüchtlingsrat fordert den Abbau des Stacheldrahts an der Gemeinschaftsunterkunft in Würzburg.  FOTO Thomas Obermeier
Die dramatischen Zustände in der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft (GU) sind mittlerweile bundesweit im Gespräch. Als „erschütternd“ kommentierte sie Tagesthemen-Moderator Tom Burow. Bayerns Sozialministerin Haderthauer, politisch verantwortlich für die Flüchtlingslager, hat die Regierung von Unterfranken gebeten, „schnellstmöglich Verbesserungen vorzunehmen“.

Haderthauer schreibt in einer Mitteilung an diese Zeitung, für Vollzug, Unterbringung und Qualität in den 117 bayerischen Sammelunterkünften seien die Regierungsbezirke zuständig. Die Qualität innerhalb der Bezirke sei „leider sehr unterschiedlich“. Die Würzburger GU mit 450 Insassen, darunter etwa 70 Kindern, beschreibt sie als ein Beispiel, das zum Handeln auffordere.

Der Bayerische Flüchtlingsrat fordert als erste Veränderung die „sofortige Entmilitarisierung“ des Lagers. Stacheldraht und rigide Zutrittskontrollen müssten umgehend entfernt werden. Für den Flüchtlingsrat wäre das „ein deutliches Zeichen, dass die menschenunwürdigen Zustände tatsächlich beendet werden“.

Der Flüchtlingsrat warnt die Regierung von Unterfranken vor blindem Aktionismus. Sie dürfe auf die Kritik nicht „mit hektischen Verlegungen in andere Flüchtlingslager“ reagieren. Das gehe zu Lasten der Flüchtlinge. Kinder würden aus ihren Schulklassen gerissen, Kontakte zu Familien, Kirchengemeinden und Unterstützernetzwerken rissen ab, Erwachsene müssten wegen zu weiter Wege Arbeitsstellen aufgeben – so weit sie überhaupt arbeiten dürfen – und medizinische Behandlungen könnten nicht fortgeführt werden. Die Behörde solle sich mit Flüchtlingen und Organisationen zusammensetzen und ein gemeinsames Konzept mit ihnen entwickeln.

Standards für die Unterbringung der Flüchtlinge fordert die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Bayern. Die Mitglieder – AWO, Rotes Kreuz, Caritasverband, Paritätischer, Diakonie und der Verband der Israelitischen Kultusgemeinden – plädieren „für eine frühzeitige Förderung der sozialen Eingliederung“ dieser Menschen. Die Lebensumstände in den Sammelunterkünften dürften nicht zu einem späteren Integrationshindernis werden. So solle niemand länger als ein Jahr lang in der GU leben. Er bezieht sich damit auf die Empfehlungen der Staatsregierung für das Obdachlosenwesen. Darin heißt es: „Unterbringungen in Notunterkünften von über einem Jahr sollten nach Möglichkeit vermieden werden, weil sie die teuerste Lösung des Problems darstellen und zu vermehrten psychosozialen Problemen der Obdachlosen führen.“ Mancher wohnt bereits seit zehn Jahren in der Würzburger GU.

Die Wohlfahrtsverbände empfehlen außerdem Ausnahmeregelungen für schwer traumatisierte und chronisch kranke Menschen. Außerdem sollte den Flüchtlingen „menschenwürdiger, gesundheitlich unbedenklicher Wohnraum zur Verfügung gestellt werden“. Dazu gehöre, dass auf eine allzu dichte Belegung der Räumlichkeiten verzichtet wird. Die Regierung pfercht in der GU bis zu sechs einander fremde Männer in einem Zimmer zusammen.

Wolfgang Jung

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