Bayerischer Rundfunk, 01.07.2013

"Politisches Engagement ist ein Menschenrecht und das nehmen auch Flüchtlinge in Anspruch"

Flüchtlingshilfe im Zwiespalt


Es ist fünf Uhr morgens. 350 Polizistinnen und Polizisten stürmen das Lager der Flüchtlinge auf dem Rindermarkt in München. 44 Flüchtlinge sind es da noch. Manche lassen sich von den Sanitätern und Feuerwehrleuten in Krankenwagen bringen. Einige wehren sich bis zuletzt. Formal betrachtet löst die Polizei hier eine Versammlung auf, denn nichts anderes ist der Hungerstreik. Moralisch betrachtet ist die Wahrnehmung der Ereignisse sehr unterschiedlich.

Der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann hielt die Räumung für unausweichlich. Denn die Flüchtlinge seien zu keinem Kompromiss bereit gewesen, als die zwei Gesandten, Alt-Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel und der Präsident des Zentralkomitees der Katholiken Alois Glück am Samstagabend mit ihnen sprechen wollten.

"Hans-Jochen Vogel und Alois Glück mussten feststellen, dass es eben ausschließlich eine kompromisslose radikale Positionierung dieses Rädelsführers gegeben hat."
Joachim Herrmann, Bayerischer Innenminister


Anders sieht das Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Diese "kompromisslose radikale Positionierung" habe es so am Samstag nicht mehr gegeben. Die Flüchtlinge seien sehr wohl dazu bereit gewesen, von ihrer Maximalforderung abzuweichen, volles Asyl nach Artikel 16 des Grundgesetzes zu bekommen. Er selbst hatte der Stadt am Samstag diese Nachricht überbracht. Sein Vorschlag: ein vorläufiges Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen nach Artikel 23 des Aufenthaltsgesetzes.


"Mein Vorschlag war, man möge das mit der Staatsregierung klären, dass quasi ein Verhandlungsangebot kommt: okay, wir geben jetzt erst mal allen diese Aufenthaltsgewährung in Härtefällen. Die Flüchtlinge hören dafür den Durststreik auf, und dann kann man danach ins Verhandeln kommen. Darauf hätten sich die Flüchtlinge auch eingelassen."
Alexander Thal, Bayerischer Flüchtlingsrat



Sogar einzelne CSU-Abgeordnete aus Stadtrat und Landrat und Mitglieder des Krisenstabs hätten diesen Kompromiss gewollt. Die Flüchtlinge waren also voller Hoffnung, als die beiden Gesandten von Horst Seehofer, Hans-Jochen Vogel und Alois Glück, auf den Rindermarkt ankamen. Sie ließen sie sogar in ihr Zelt, was zu diesem Zeitpunkt nur wenigen Vermittlern und Ärzten noch erlaubt worden war.


"Wie auch die Vermittler nach diesem Gespräch in der Pressekonferenz mitgeteilt haben, hatten sie keinerlei Angebot dabei. Sie hatten auch keinerlei Mandat, irgendwelche Verhandlungen für die Staatsregierung anzufangen. Das einzige, was sie getan haben, ist zu kommen, von den Leuten das Ende des Durststreikes zu fordern und angeboten, man könne danach in Gespräche kommen, beispielsweise über Essenspakete, Lagerunterbringung, Residenzpflicht."
Alexander Thal, Bayerischer Flüchtlingsrat

 


"An dem Konflikt hat die Räumung nichts gelöst"

Darauf ließen sich die Flüchtlinge nicht ein. In der Nacht erfolgte dann die Räumung. Inzwischen sind die Flüchtlinge mehrheitlich vom Sozialreferat der Stadt München untergebracht und betreut. Ihre Asylverfahren befinden sich laut dem zuständigen Bundesamt in unterschiedlichen Stadien. Manche sind bereits rechtskräftig abgelehnt, andere klagen gegen ihre Ablehnung, 13 hätten ihre Anträge erst im März oder später gestellt. An dem Konflikt hat die Räumung nichts gelöst, sagt Alexander Thal.



"Die Räumung war einfach nur die gewaltsame Unterbrechung dieses Konflikts, die aber das Problem nicht löst. In Bayern gehört dieser sture Lagerzwang weg, wie es in anderen Bundesländern auch ist. In Bayern gehören die Essenpakete weg, und die Leute sollen Bargeld bekommen, wie es in anderen Bundesländern auch üblich ist. In Bayern sollte die Residenzpflicht auf das ganze Bundesland aus gedehnt werden, da sind auch immer mehr Bundesländer dazu übergegangen. Solange sich an der bayerischen Flüchtlingspolitik nichts ändert, wird es, vermute ich, auch immer wieder zu solchen Protestaktionen kommen."
Alexander Thal, Bayerischer Flüchtlingsrat

 


Autonome Proteste sind für die Flüchtlingshilfe nicht ganz einfach

Für die Flüchtlingshilfe sind "solche Protestaktionen" nicht ganz einfach. Denn die neuen Demonstrationen kommen von den Flüchtlingen selbst, sie sind autonom und radikaler. Seit sich ein Iraner vor anderthalb Jahren in Würzburg das Leben nahm, haben sich die Flüchtlinge stark politisiert. Sie haben einen Protestmarsch nach Berlin gemacht, oder sich in Würzburg bei einem Hungerstreik den Mund zugenäht. Flüchtlingshelfer haben wenig Einfluss auf diese neuen radikaleren Protestformen, und stehen in einem Konflikt: Einerseits als etablierte Organisationen oft Vermittler zu den Behörden zu sein, gleichzeitig aber die Autonomie der Flüchtlinge anerkennen zu wollen.


"Es war für uns alle sehr hart, wirklich auf dem Rindermarkt zu stehen und einfach zugucken zu müssen. Und wir haben alles darauf gesetzt, dass wir diese Verhandlungslösung hinkriegen. Die Versammlungsfreiheit, das Recht auf eine eigene Meinung und ein politisches Engagement ist ein Menschenrecht, das kann jeder tun, und das nehmen auch Flüchtlinge vermehrt in Anspruch. Ich hab das nicht zu beurteilen. Ich kann nur sagen, wenn Flüchtlinge gegen ihre Lebenslage protestieren, dann hat das einfach einen Grund."
Alexander Thal, Bayerischer Flüchtlingsrat



Quelle: Bayerischer Rundfunk

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