Nürnberger Nachrichten, 18.04.2009

Politiker hoffen auf eine Wende in der Asylpolitik

Sammelunterkünfte bieten eine Toilette und eine Dusche für 18 Menschen

Tristesse in Containern: Das Abschiebelager des Freistaates in der Hafenstraße in Fürth. Kritiker der bayerischen Ausländerpolitik beklagen die unwürdigen Zustände in den Flüchtlingsunterkünften.     Foto: dpa
Felleke Bahiru Kum kennt den Schmerz, die Langeweile, die Verzweiflung. Vor neun Jahren ist der Äthiopier nach Deutschland geflüchtet, vor dem Krieg in seiner Heimat. Er hatte auf Sicherheit gehofft und auf Freiheit. Gefunden hat er ein Leben im Lager, eines, das nicht nur er als unwürdig einstuft.

Bayern, sagt die grüne Fraktionschefin Margarete Bause, habe «ein Gesetz, das einzigartig ist. Es ist die restriktivste Auslegung des Bundesrechts.» Tatsächlich schuf das Land im Jahr 2002 ein Gesetz, das «die Aufnahme und Unterbringung der Leistungsberechtigten» regelt. Zwei Dinge stoßen den Kritikern auf: Statt Bargeld bekommen die Leistungsempfänger nur Essenspakete; und sie müssen in der Regel in Lagern leben. «Nur in extremen Ausnahmefällen dürfen sie eine Wohnung suchen», sagt Alexander Thal vom Flüchtlingsrat. Derzeit leben 7636 Flüchtlinge in 118 Lagern. Anders als das Sozialministerium hält der Rat dies für fatal. Es sei «eine Riesenschweinerei», dass die Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht seien.

Viele verlieren den Lebensmut

Er habe, erzählt Felleke, sich die deutsche Sprache selbst beigebracht, in Nördlingen, als er außerhalb des Lagers arbeiten durfte, wenigstens für einige Zeit. Abends notierte er sich die Wörter, die er im Fernsehen nicht verstanden hatte; morgens fragte er den Hausmeister an seiner Arbeitsstelle. Der 37-Jährige hat auch nach neun Jahren den Antrieb nicht verloren. Andere schon.

«Es gibt Leute in den Lagern, die sitzen da seit 18, 20 Jahren», sagt er. «Die sind abgestumpft. Die wollen nichts mehr tun, nicht arbeiten, nicht mal ihre Zimmer putzen.» Die Küchen sind verdreckt, die Toiletten ebenso, Schimmel wuchert in den Ritzen. Mit zwei anderen teilt Kum sich neun Quadratmeter Wohnraum, mit 17 die einzige Toilette auf dem Stockwerk und die einzige Dusche.

«Jede Jugendherberge hat Mindeststandards», sagt Matthias Weinzierl vom Flüchtlingsrat. «Für Lager gibt es sie nicht.» Die Flüchtlingslager sollen «die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern», heißt es in der Durchführungsverordnung. Für die Grüne Renate Ackermann zählen dazu neben den Lagern «auch die Essenspakete, das Verbot, den Distrikt zu verlassen, die schlechte medizinische Versorgung, die ungenügende soziale Betreuung und die Isolierung in abseits gelegenen Baracken.» Etwa in Böbrach im Kreis Regen. Dort liegt das Lager mitten im Wald. «Ich habe nie so zerstörte Menschen erlebt wie dort», sagt Weinzierl. «Die haben als einzige Abwechslung die Lieferung der Essenspakete.»

Es geht auch anders. Ein Hearing im Landtag soll Alternativen aufzeigen wie das Leverkusener Modell. Die Stadt lässt Flüchtlingen die Wahl, ob sie in Wohnungen ziehen. Die Erfahrungen seien durchweg positiv, und billiger sei es obendrein. Doch auch wenn Margarete Bause Bewegung bei der CSU sieht, weil die «druckempfindlicher geworden ist», könnte sie sich täuschen. Sozialministerin Christine Haderthauer will lediglich «die Wohnqualität in den Gemeinschaftsunterkünften steigern». Und Innenminister Joachim Herrmann wirft dem Flüchtlingsrat vor, er verdrehe die Tatsachen, weil die Mehrheit der Menschen in den Unterkünften entweder im Asylverfahren stehe oder abgelehnt und nur geduldet sei. «Wer hier von Lagern oder Isolation spricht», sagt Herrmann, «will das Zerrbild von Haft vermitteln.»

Menschen wie Fellike Bahiru Kum empfinden genau das. «Ich schäme mich zu sagen», sagt der Äthiopier, «dass ich Christ bin. Selbst die Kirchen helfen uns nicht.» Natürlich gehe es um Isolation. «In den kleinen Dörfern haben die Menschen Angst vor uns.» Manchmal frage er sich, «ob ich überhaupt ein Mensch bin für die anderen».

Roland Englisch

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