Nürnberger Nachrichten, 17.10.2012

Plumpe Parolen

Die Union macht Stimmung gegen Asylbewerber


Die Rote Karte aus Karlsruhe für die deutsche Asylpolitik ist gerade einmal ein Vierteljahr alt — und schon haben manche Politiker vergessen, was ihnen die Bundesverfassungsrichter mit auf den Weg gegeben haben: Flüchtlinge dürfen finanziell nicht schlechter gestellt sein als Sozialhilfe- oder Hartz-IV-Empfänger. Die bis dato gültige Regelung, so das Urteil, widerspricht dem Grundgesetz und ist mit der Menschenwürde nicht vereinbar.

Die obersten Verfassungshüter haben damit offen ausgesprochen, was Menschenrechtsorganisationen seit Jahren bemängeln: die bisweilen verheerenden Zustände, unter denen Asylbewerber — wie das Beispiel Zirndorf vor unserer Haustür zeigt — leben müssen. Sie haben kaum Arbeitserlaubnisse, dürfen in Bundesländern wie Bayern ihre nähere Umgebung nicht verlassen und besitzen nur das Notwendigste. Zwar stehen seit dem Karlsruher Spruch Asylbewerbern monatlich knapp 100 Euro mehr zu; das ist wahrlich keine Summe, mit der sich große Sprünge machen lassen.

Für Konservative wie den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann ist offenbar selbst dieser Betrag noch zu hoch. Den Anstieg von Zuwanderern aus Serbien und Mazedonien führt der Christsoziale unter anderem auch auf jene Erhöhung zurück.

Hässliche Worte

Wer nach dem Karlsruher Spruch bei Politikern in Flüchtlingsfragen mit mehr Einsicht und Zurückhaltung gerechnet hatte, wird eines Besseren belehrt. Denn die Ruhe währte nur kurz: Plötzlich ist das hässliche Wort vom „Wirtschaftsflüchtling“ wieder in aller Munde. Selbst mancher Asylentscheider kann es durchaus nachvollziehen, wenn die Ärmsten der Armen in Deutschland auf ein besseres Leben hoffen. Nicht aber Unionspolitiker wie Herrmann oder sein Parteifreund und Bundesinnenminister, Hans-Peter Friedrich. Sie diskriminieren mit Vokabeln wie „Illegale“ und „Kriminelle“ Ausländer und Asylbewerber — eine Stimmungsmache, die an die „Das Boot ist voll“-Rhetorik der 1990er Jahre erinnert.

Roma werden diskriminiert

Mit solch plumpen Begriffen knüpfen einzelne Politiker an jene Zeit an, als außerordentlich viele Flüchtlinge aus Krisen- und Kriegsgebieten in Deutschland Zuflucht gesucht hatten. Damit ist die jetzige Situation aber nicht zu vergleichen: Asylbewerber, die heute aus Osteuropa kommen, stellen eine nach wie vor verhältnismäßig kleine Zahl dar. Ohnehin gehören die meisten dieser Flüchtlinge ethnischen Minderheiten an: Gerade Roma werden in ihren Herkunftsländern benachteiligt und ihre Menschenrechte mit Füßen getreten.

Das aber wollen viele CSU-Politiker nicht sehen, geschweige denn sagen. Schließlich herrscht im Freistaat Wahlkampf — und da lässt sich mit einfachen Parolen der ein oder andere schnell überzeugen. Dass derzeit Neonazis gegen Asylbewerber und Ausländer hetzen, stört Herrmann und Co. nicht.

Im Gegenteil: Die jüngsten Warnungen der EU-Kommission vor einem vermeintlichen Flüchtlingsstrom vom Balkan scheinen die Christsozialen zu bestärken. Dabei überrascht die Haltung Brüssels wenig. Denn wie sehr sich Europa gegen Asylbewerber abschotten will, demonstriert die EU an ihrer südlichen Grenze seit langem: Mit speziellen Eingreiftruppen geht der Staatenbund dort gegen Afrikaner vor. Wir sollten die Bilder von überfüllten Booten und entkräfteten Menschen nicht vergessen, wenn Unionspolitiker nun auch gegen Serben und Mazedonier „bessere“ – sprich — effektivere Abwehrkontrollen fordern. Falls das gelingt, wäre Europa endgültig eine Festung: Für eine Gemeinschaft, die eben erst den Friedensnobelpreis erhalten hat, ein Armutszeugnis.

Sharon Chaffin

Quelle: Nürnberger Nachrichten

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