Neues Deutschland, 24.06.2013
Platzbesetzung in München
Hungerstreikende setzen der Bundesregierung ein Ultimatum
Mehr als 400 Menschen haben sich am Samstagnachmittag an der Non-Citizen-Demonstration in München beteiligt. Gemeinsam zogen die zumeist staatenlosen Flüchtlinge mit Parolen wie »No Border! No Nation! Stop Deportation!« oder »Kein Mensch ist illegal!« vom Karlsplatz/Stachus über den Hauptbahnhof in Richtung Gewerkschaftshaus. Bei einer Zwischenkundgebung vor dem Gewerkschaftshaus wurden unter anderem der Lagerzwang für Flüchtlinge, die Residenzpflicht und die Versorgung mit Essenspakten kritisiert. »Wir brauchen unsere Rechte und wir brauchen unsere Freiheit«, brachte einer der Flüchtlinge die Forderungen auf den Punkt. »Bleiberecht für alle«, »Lager machen krank«, »Um Europa keine Mauer« und »Keine Staatsgrenzen zwischen Mutter und Kind« war während der Demo auf den mitgeführten Schildern zu lesen. Andere Flüchtlinge wiederum verteilten Flyer, in denen über den Hintergrund der Non-Citizen-Demonstration informiert wird.
Mit dem Protestmarsch durch die Münchner Innenstadt wollten die Flüchtlinge ein Zeichen setzen und für sich den Status als Citizen einfordern. »Citizens genießen alle Grundrechte, das Recht auf Arbeit, das Recht auf Bildung, das Recht sich frei zu bewegen und das Recht den Wohnsitz frei zu wählen. Wir, die Non-Citizens, haben keinen Zugang zu diesen Grundrechten.« Deshalb »werden wir uns in München versammeln und das Recht aller Non-Citizens, Citizens zu werden, einfordern«, schrieben die Flüchtlinge zuvor in ihrem Aufruf.
Zunächst verlief die Demonstration dann auch ganz gewöhnlich: Die Flüchtlinge zogen nach der ersten Kundgebung zu einer zweiten am Sendlinger-Tor-Platz und von dort aus weiter in Richtung Rindermarkt, wo die Veranstaltung nach erneuten Reden ursprünglich ihr Ende finden sollte. Doch es kam anders - und der Protest nahm eine unerwartete Wendung.
Kurzerhand besetzten die Flüchtlinge den Rindermarkt. Aktivisten bauten Metallstangen zu einem Dreieck auf und befestigten dort ein Banner mit der Aufschrift »We will rise! Refugee strike!«. Unter den Augen einer sichtlich ratlosen Polizei sind die Flüchtlinge in den Hungerstreik getreten und haben der Regierung ein Ultimatum von drei Tagen gesetzt - bis heute soll sie sich mit den Fällen der rund 100 Flüchtlinge befassen und ihr Grundrecht auf Asyl anerkennen. Sollte es bis Montag keine Reaktion geben, wollen die Non-Citizens einen Schritt weiter gehen - und auch das Trinken einstellen. Auf den Einwand eines Journalisten hin, dass diese Protestform lebensbedrohliche Folgen haben und zum Tod führen könnte, antwortet ein junger Flüchtling aus Pakistan trocken: »Zu sterben ist immer noch besser als die Zustände, unter denen wir hierzulande leben müssen.«
Johannes Hartl
Quelle: Neues Deutschland