Süddeutsche Zeitung, 05.12.2012

Pauschal abgewiesen

Flüchtlingsrat kritisiert Asylschnellverfahren gegen Roma aus Serbien und Mazedonien


Selma Demirova braucht keinen Schutz. So zumindest sieht es der deutsche Staat, und deshalb soll die Frau mit ihrem Mann und ihrem Sohn wieder dorthin zurück, wo sie hergekommen sind. Selma Demirova (Name geändert) ist Roma, stammt aus Mazedonien, und der deutsche Staat unterstellt den Roma, die hier Schutz suchen, fast immer Asylmissbrauch. Gegen diese pauschale Abwehr von Roma aus Mazedonien und Serbien wehrt sich der Bayerische Flüchtlingsrat, und weiß mit Hubert Heinhold einen der renommiertesten Asylspezialisten auf seiner Seite.
 
Selma Demirova, 37, spricht mit leiser Stimme, ihr Blick verliert sich im Irgendwo, ein Dolmetscher übersetzt. Sie sei vergewaltigt worden in ihrer Heimat, im Mai, von zwei Männern, die Schutzgeld erpressen wollten. Ihr Mann, berichtet sie, sei in der Arbeit gewesen, mit ihrem 16-jährigen Sohn sei sie allein daheim gewesen, er habe die Tat mit ansehen müssen. Als sie später die Polizei alarmiert habe, habe die ihr nicht geholfen, und im Krankenhaus habe sie auch keine Hilfe bekommen — weil die Arzte Angst vor den Tätern gehabt hätten. Sie gehörten angeblich einem parteinahen Sicherheitsdienst an. Die Vergewaltiger hätten ihrerseits den Sohn wegen Körperverletzung angezeigt, er habe daraufhin drei Tage in U-Haft gesessen. Dort habe er erfahren, dass ihm zwei Jahre Gefängnis drohten. Als er dann die Ladung für eine Gerichtsverhandlung bekommen habe, sei die dreiköpfige Familie geflohen, zunächst nach Hamburg, weil dort Verwandte lebten, von dort seien sie nach München umverteilt worden. Sie leben jetzt in einem Heim in der Untersbergstraße.

Ihr Asylgesuch wurde laut Anwalt Heinhold als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt, die Standardreaktion des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Ihre Anhörungen dort waren am 9. November, schon drei Tage später stand die Entscheidung fest: Raus aus Deutschland. Heinhold ist empört, weil die Angaben der Familie gar nicht richtig geprüft worden seien, dabei begründe eine geschlechtsspezifische Tat gemäß der Genfer Konvention einen Schutzanspruch, wenn die Justiz des Heimatstaates diesen Schutz nicht gewährleiste. „Das kann nicht als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden.“ Das Amt habe offenbar kein Interesse, die Angaben korrekt zu prüfen, und dieses Desinteresse sei politisch so gewollt. Hintergrund sind die zuletzt gestiegenen Flüchtlingszahlen.

Zwar erkenne der deutsche Staat die Diskriminierung der Roma in Serbien und Mazedonien an, doch die Schwelle zum Asylanspruch überschreite diese angeblich generell nicht. Dies kritisieren Heinhold und der Flüchtlingsrat scharf und fordern ein Ende der Asylschnellverfahren. Gerade wegen der Diskriminierung müsse Deutschland genau hinschauen. Und selbst wenn viele dieser Flüchtlinge keinen Asylanspruch hätten, dürfe man nicht alle pauschal ablehnen. Heinhold erinnerte an den Völkermord an Sinti und Roma während der NS-Zeit, aus dem eine spezielle Verantwortung gegenüber dieser Volksgruppe erwachse. Auf dem Rücken dieser Minderheit jedenfalls dürften deutsche Politiker nicht ihren Populismus ausleben. Alexander Thal vom Flüchtlingsrat wirft den Innenministern in Bund und Bayern eine „Hetzkampagne“ gegen die Roma vor, die sie beenden müssten.

Bernd Kastner

Quelle: Süddeutsche Zeitung

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