Süddeutsche Zeitung, 07.05.2008
Oben Schimmel, unten Schlamm
Viele Asylbewerber leben in bayerischen Unterkünften wie in Ghettos - die Grünen prangern die Zustände an
Die Gemeinschaftsunterkunft in Dachau ist aber bei weitem kein Einzelfall - und längst nicht das schlimmste Beispiel für Asylunterkünfte in Bayern. Die Besuchsprotokolle der bayerischen Grünen, die einen Gesetzentwurf „über die Aufnahme ausländischer Flüchtlinge sowie deren Versorgung mit Wohnraum“ im Landtag eingebracht haben, spiegeln zum Teil unzumutbare Zustände: „Die Zimmer sind geschätzt circa acht Quadratmeter groß und mit jeweils vier Betten belegt. Die unglaubliche Enge, die Hellhörigkeit, der Verlust jeglicher Privatsphäre sind die größten Probleme“, heißt es etwa über die Asylbewerber-Unterkunft in Landshut. Im Schnitt würden die auf sich allein gestellten Flüchtlinge hier vier bis fünf, oftmals aber mehr als acht Jahre lang leben. Im Bericht aus Regensburg heißt es: „Die Unterkunft ist baulich in einem sehr schlechten Zustand, es gibt Schimmelpilze an den Wänden im Bad, Fettflecken in der Küche.“
In einigen Münchner Einrichtungen fanden die Inspekteure „ekelerregende“ Sanitäranlagen, „schäbige“ Aufenthaltsräume, vollgestellte Gänge und uralte Container vor. In einer dieser Gemeinschaftsunterkünfte sei das Notruftelefon „die meiste Zeit kaputt“. Dabei seien in einigen Einrichtungen hastig Renovierungsarbeiten erledigt worden, stellten die Grünen bei ihrem Besuch fest. In Dachau stehen jetzt nach Auskunft der Regierung von Oberbayern aufwendige Reparaturarbeiten an: „Für das Jahr 2008 ist eine Dachsanierung geplant sowie die Asphaltierung der Einfahrt und die Erneuerung des Küchenbodens.“
Christine Kamm, der kommunalpolitischen Sprecherin der Landtags-Grünen, ist jedoch vor allem die isolierte Lage der Dachauer Gemeinschaftsunterkunft ein Dorn im Auge. „Die Kinder wachsen hier in einer ghettomäßigen Umgebung auf, und das erschwert ihre Integration“, kritisiert sie. Letztlich blieben die Flüchtlinge hier trotz der Hilfe engagierter Dachauer Bürger mit ihren Problemen allein.
Immerhin, es gibt in der Gemeinschaftsunterkunft einen eigenen Raum für die Hausaufgabenbetreuung der derzeit elf schulpflichtigen Kinder. Dennoch liegt Hoffnungslosigkeit im Blick einer jungen Irakerin: „Meine Tochter geht hier in Dachau auf die Realschule, aber sie hat keine Zukunft. Jeden Tag fragt sie mich, wie lange wir noch in Deutschland bleiben können. Und ich kann ihr darauf keine Antwort geben“, sagt die Frau. Ihr dreijähriger Sohn komme oft erst nach Mitternacht zur Ruhe, weil der Lärm aus der angrenzenden Gemeinschaftsküche ihn nicht einschlafen lasse. Ein anderer Iraker sagt, die beengten Verhältnisse mit bis zu vier Personen in einem Wohnraum führten dazu, dass die Kinder oft krank würden.
„Ich verstehe überhaupt nicht, wie es die Leute hier aushalten“, sagt Haki Alija (Name geändert), der Neffe von Selim Hoti. Der 23-Jährige hat in Bayern Arbeit gefunden, hat eine eigene Wohnung und unterstützt seine Angehörigen so gut er kann. „Lieber würde ich unter freiem Himmel schlafen, da ist wenigstens frische Luft“, sagt er über die Dachauer Unterkunft, in der sein Onkel mit der Familie bereits seit zwei Jahren lebt. Doch eine Rückkehr in die alte Heimat kommt für Selim Hoti nicht in Frage: „So viele Probleme in Kosovo“, sagt er. Hoti leidet an Rückenschmerzen - eine Spätfolge der Schläge, mit denen ihm serbische Militärpolizisten zusetzten, wie er erzählt. Neben den Narben blieben die seelischen Verletzungen. „Muss hier bleiben, was machen?“, sagt er schulterzuckend.
Nach Ansicht der Grünen ist Hoti kein Einzelfall: „ Flüchtlingsorganisationen und Sozialdienste gehen davon aus, dass mindestens 50 Prozent der Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften psychisch krank sind“, heißt es in ihrem Bericht. Und wer nicht krank ankomme, werde „durch die Unterbringung krank gemacht“. Immer wieder seien Gewaltausbrüche zu verzeichnen, insbesondere gegen Frauen. Vor diesem Hintergrund sei es „skandalös“, dass die Staatsregierung in den Gemeinschaftsunterkünften auch Opfer des internationalen Frauenhandels unterbringen wolle.
Selbstmord in Stadelheim
Die räumliche Enge, die in Dachau überall spürbar ist, obwohl die Baracken mit derzeit 156 Asylbewerbern nicht voll belegt sind, erschwert im Alltag auch das Miteinander der Kulturen. „Soweit ethnische Konflikte erkennbar sind, reagieren wir durch Umverlegungen“, heißt es seitens der Regierung von Oberbayern. Das Fehlen jeglicher Intimsphäre führt dennoch zu unberechenbaren Situationen. Vor gut zwei Jahren stach in der Dachauer Gemeinschaftsunterkunft ein Äthiopier nach einem Streit mit dem Küchenmesser auf seinen Landsmann ein, mit dem er sich bis dahin gut verstanden hatte. Das Opfer überlebte, der 32 Jahre alte Täter - geplagt von Schuldgefühlen - erhängte sich in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim.
In Einzelfällen, sagt Sozialministerin Christa Stewens, könne schon mal eine Genehmigung zur privaten Wohnungsnahme erteilt werden - um „Härtefälle“ zu vermeiden. Aber die von den Grünen geforderte generelle Unterbringung in privaten Wohnungen sei „leider aus Kostengründen nicht möglich“. Gemeinschaftsunterkünfte seien im Hinblick auf den vorübergehenden Aufenthalt zumutbar - „auch wenn sicher nicht alle Wünsche erfüllt werden können“.
Von Dietrich Mittler
AUFNAHMEGESETZ
Im Flüchtlingsaufnahmegesetz von 2002 wurde festgelegt, dass Bürgerkriegsflüchtlinge, Asylbewerber, abgelehnte Asylbewerber, Geduldete und Ausreisepflichtige im Regelfall in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen sind. Per Gesetzentwurf wollen die Grünen nun im Freistaat „Mindestwohnstandards“ für diese Personengruppe festschreiben. Der Entwurf, der die erste Landtagslesung hinter sich hat, soll demnächst im Sozialausschuss behandelt werden.