Süddeutsche Zeitung, 08.10.2010
Nur noch geduldet
Im Erlanger Asylheim geht es Dinara trotz Erkrankung gut, doch ihr droht die Abschiebung
Die junge Frau überlegt einen längeren Augenblick, die Frage war, wie sie heißt. Dann sagt sie: "Nennen wir es einfach ein kaputtes Leben."
Nennen wir sie einfach Dinara. Dinara ist 25 Jahre alt, sie kommt aus Aserbaidschan. An der Wand hängt die Flagge ihrer Heimat, blau, rot, grün, ein Halbmond und ein Stern in der Mitte. Die Flagge ist so groß wie ein ausgefaltetes Taschentuch, Dinara hat sie mit Plastikfolie überzogen. „Zuhause in Aserbaidschan“, sagt sie, „würde ich sterben“.
Der Bayerische Flüchtlingsrat besucht in diesem Herbst Unterkünfte für Asylbewerber im ganzen Freistaat. Der Landtag hat Mindeststandards für diese Unterkünfte eingeführt, aber viel zu oft seien sie immer noch „menschenunwürdig“, sagt Alexander Thal vom Flüchtlingsrat: Überfüllte Lager mit schlammigen Wegen und schimmligen Wänden in den Baracken.
Jetzt steht Thal also in Dinaras Küche in einem hellblauen Wohnblock am Stadtrand von Erlangen. Er schaut nach links auf den Fernseher, nach rechts auf das Sofa. „So etwas findet man selten“, sagt er, „das ist vergleichsweise nobel“. Dinara hat sich auf einen Hocker mit viel zu kurzen Beinen gesetzt, sie halt einen Plüschaffen im Arm, der Affe guckt, als könnte ihn nichts erschüttern. Die meisten Möbel, sagt sie, habe sie nicht von den Behörden gekriegt. Mehr als drei Monate habe sie in einem leeren Zimmer auf dem Teppich geschlafen, eine Decke habe sie gehabt. Dann seien türkische Bekannte vorbei gekommen, die hätten geschluckt. Am nächsten Tag habe ein Laster vor dem Haus gehalten, und die Türken hatten ihre Wohnung voll gestellt mit allem, was sie entbehren konnten.
„Zuhause in Aserbaidschan würde ich sterben“, sagt die junge Frau
Dinara sagt, sie sei früher schlanker gewesen, 18 Kilo habe sie zugenommen wegen der Medikamente. Sie rutscht umher auf dem Hocker mit den viel zu kurzen Beinen und erzählt eine dieser Geschichten, die selbst dann noch ins Mark gehen würden, wenn nicht mal die Hälfte davon wahr wäre.
Die Geschichte beginnt 2005, da beantragt Dinara mit ihrem Mann Asyl in Deutschland. Der Mann will sie später auf den Strich schicken, irgendwann verlässt er sie. Die gemeinsame Tochter nimmt er mit. Ihre Eltern, sagt Dinara, seien in Aserbaidschan bei einem Autounfall ums Leben gekommen: „Ich habe fast niemand mehr." Ihre Cousine hat sie noch, sie leben zusammen. Ab und an tritt die Cousine heran an Dinaras Hocker und streichelt ihr das Haar.
Auf dem zerkratzten Holztisch neben der Spüle hat Dinara ein Mittelgebirge an Papieren aufgeschüttet. Ganz oben liegt ein ärztliches Attest. Es sind 26 Spiegelstriche zu sehen auf dem Attest, dahinter steht: Epilepsie, Borderline-Syndrom, reaktive Depression, Nierencyste, Persönlichkeitsstörung, Rückenprobleme. Und so weiter. Dinara sucht ein anderes Schreiben heraus, es stammt vom Sozialamt. „Der Antrag auf Krankengymnastik wird abgelehnt“, liest sie vor, ihr Deutsch ist gebrochen, aber es hat dennoch eine Melodie.
Die Ärzte haben Dinara Suizidgefahr bescheinigt, an ihren Unterarmen sind Narben zu erkennen, so alt können sie noch nicht sein. Trotzdem wird sie nur noch geduldet in Deutschland, die Aufforderung zur Ausreise ist erteilt, die Abschiebung alle drei Monate möglich. Dinara hadert viel mit den unerbittlichen deutschen Behörden, aber sie sagt auch: „Nur hier habe ich die medizinische Versorgung, die ich brauche.“
Sie holt ihre Duldungsbescheinigung heraus, auf ihr Foto ist ein roter Balken gedruckt. Unter Augenfarbe steht: Schwarz. Dinara sagt, eigentlich habe sie ja braune Augen.
Roman Deininger