Neues Deutschland, 20.06.2012

Mühevolle Teilhabe

Ein Leben unter dem Asylbewerberleistungsgesetz

Tannaz Bidary lebt seit 2007 mit ihrer Familie in Brandenburg. Foto: nd/Camay Sungu


Die Wünsche für sich selbst klingen bescheiden. Urlaub möchte Tannaz Bidary gern einmal machen. Mit der ganzen Familie. Und in ein Fitnessstudio gehen. Die 36-jährige Iranerin lebt seit 2007 mit Mann und zwei Kindern als Asylbewerberin in Brandenburg und hat sich beides noch nie geleistet. Die Familie bekommt Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Jahrelang durften sie und ihr Mann nicht arbeiten. Seit März ist das zwar erlaubt, aber die Bidarys haben in Hennigsdorf nördlich von Berlin noch keinen Job gefunden. Dabei wirkt Tannaz Bidary nicht wie eine Frau, die klagt. Im Gegenteil: Sie nimmt ihr Leben und das ihrer Familie in beide Hände. Soweit das eben geht unter den Regeln des Asylbewerberleistungsgesetz.

»Seit März bekomme ich meine Asylbewerberleistungen als Geld und nicht mehr als Gutscheine«, sagt sie nicht ohne Stolz. Das ist ihr nicht in den Schoß gefallen. Der Brandenburger Landkreis Oberhavel weigert sich beharrlich, Flüchtlingen das wenige, das ihnen zusteht, als Bargeld auszuzahlen. Mehrere Monate lang hatten die Flüchtlinge im vergangenen Jahr die Gutscheinannahme verweigert und lebten von dem, was ihnen Kirchengemeinde und freiwillige Helfer spendeten. Tannaz Bidary hatte diesen Streik organisiert und dafür letzte Woche von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) das Band für Mut und Verständigung überreicht bekommen. Anders als der Landkreis lehnt die Brandenburger Landesregierung Gutscheine als entwürdigend ab. »Wir haben unser Ziel nicht erreicht, die Gutscheine abzuschaffen«, sagt die Iranerin. »Aber zumindest erhält jetzt Geld, wer vier Jahre und länger in Deutschland lebt.«

Als es noch Gutscheine gab, sei sie nur mit dem Taschenrechner einkaufen gegangen. »Es gab Gutscheine für fünf und für zehn Euro und es wurde kein Wechselgeld herausgegeben«, erinnert sie sich. Ein spontanes Eis für die Kinder oder ein Getränk gegen den Durst an heißen Tagen waren da einfach nicht möglich. Auch jetzt gilt das als seltener Luxus, weil das Geld knapp ist. »Meine Tochter freut sich, dass sie die wenige Kleidung, die ich ihr kaufen kann, jetzt selbst aussuchen darf«, erzählt sie weiter. Für die Gutscheine musste die Kleidung in einem bestimmten Laden gekauft werden. Und die dortige Kleidung galt als uncool in der Schule der Achtjährigen. Neue Kleidung ist auch jetzt selten, aber immerhin seien den Kindern die Neuanschaffungen jetzt nicht mehr peinlich.

Tannaz Bidarys Tochter ist ein Turntalent. Von ihren sportlichen Fähigkeiten her könnte sie Turnen im Leistungssport trainieren. Im Sportforum Berlin-Hohenschönhausen, dort, wo künftige Olympiasieger gemacht werden. Aber das geht nicht, weil das Mädchen Asylbewerberin ist. Der Weg von Hennigsdorf ins Sportforum ist für die Achtjährige zu weit, das Sportinternat zu teuer und ein Umzug der Familie nach Hohenschönhausen? Tannaz Bidary zuckt die Schultern: »Wir dürfen nicht umziehen, solange wir Sozialleistungen beziehen.«

So trainiert das Mädchen jetzt erst einmal in einer Turntalentschule. Freizeitsport statt Leistungssport. Deutschland geht damit vielleicht eine Teilnehmerin an internationalen Turnmeisterschaften verloren. Aber das Geld für den Freizeitsport kann die Familie dank des Bildungspakets aufbringen. Genau wie die Mitgliedschaft des Sohnes im Fußballverein.

Der 36-jährigen Mutter ist es wichtig, dass ihre Kinder am sozialen Leben teilnehmen können. Das Geld dafür kann sie oft nur mit großer Mühe zusammenkratzen. 15 Euro für einen Wandertag sind für sie sehr viel. Ihre eigenen Bedürfnisse stehen dabei hintenan. Aber es ist ihr wichtiger, dass die Kinder Sport treiben können als sie selbst. Im Fitnessstudio zu trainieren wird darum ein Traum bleiben.

Marina Mai

Quelle: Neues Deutschland

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