Oberbayerisches Volksblatt, 18.05.2013
Mit Farbbeuteln beworfen, mit Kot beschmutzt
Mutmaßlich rechte Täter attackieren mehrere Ziele in München – Betroffene gehen von Zusammenhang mit NSU-Prozess aus
Hier, bei einem Wohnprojekt, das sich gegen Rassismus stark macht, sollen rechtsradikale Täter gewütet haben – und nicht nur hier. Auch der bayerische Flüchtlingsrat und eine Anwaltskanzlei sind in den letzten Wochen attackiert worden. Die Betroffenen sehen einen Zusammenhang mit dem Prozess gegen die Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU).
Diese Vermutung kommt nicht von ungefähr: Einer der Angriffe richtete sich gegen die Kanzlei von Angelika Lex. Sie vertritt im NSU-Prozess die Witwe des im Westend ermordeten Theodorous Boulgarides. Als Lex am vergangenen Montag ins Büro kam, war der Eingang mit einer „großen Menge Kot und Urin“ beschmutzt worden, berichtet sie. „Ich sehe das als Angriff auf die Angehörigen der Opfer.“ Derartige Attacken seien ein Anzeichen dafür, dass die NSU-Terroristen lokale Unterstützer gehabt haben. Mit dem Fäkalien-Angriff, so Lex, hätten sich „rechte Gruppierungen mit den Angeklagten solidarisiert.“ Das sei eine „deutlich neue Qualität“. Nachdem weitere rechte Angriffe bekannt wurden, machte sie den Vorfall gestern öffentlich.
Das Wohnprojekt an der Ligsalzstraße wurde seit dem 8. Mai bereits vier Mal attackiert. Damals saßen im Erdgeschoss einige Bewohner bei offener Tür beisammen. „Plötzlich stürmte eine vermummte Person herein und bewarf uns mit Eiern“, erinnert sich Bewohner Gabriel Obermaier. Vier Tage später prangte an der Scheibe ein ins Glas geritzter Schriftzug: „Anti-Antifa“, ein Kürzel der Neonazi-Szene. Am 15. Mai, wurden die Scheiben im Erdgeschoss eingeschlagen – und tags darauf folgte die Farbbeutel-Attacke. „Es geht offenbar gezielt gegen dieses Wohnprojekt“, sagt Obermaier. Die Hausgemeinschaft hat es sich unter anderem zum Ziel gesetzt, Minderheiten im Viertel zu integrieren.
Ganz ähnliche Attacken gab es gegen den bayerischen Flüchtlingsrat: Unbekannte warfen im April eine Scheibe ein – und ritzten in das Ersatzglas „Anti-Antifa“ und „NS jetzt“. Geschäftsführer Matthias Weinzierl sagt: „Wir fühlen uns massiv eingeschränkt.“
Alle Betroffenen kritisieren, dass die Polizei bislang von Einzeltätern ausgehe. „Wir sehen eine klare Serie im Zusammenhang mit dem NSU-Prozess“, sagt Robert Andreasch vom antifaschistischen Verein „Aida“, der die Aktivitäten von Neonazis dokumentiert. In ganz Bayern gebe es einen Anstieg ähnlicher Taten. Die Polizei will laut Sprecher Wolfgang Wenger nun prüfen, ob ein Zusammenhang zwischen den Münchner Fällen vorliegt. „Die Ermittlungen laufen“, sagte er. „Eine Serie im Rahmen des NSU-Prozesses können wir anhand der bisher bekannten Deliktszahl jedoch nicht bestätigen.“
Die Grünen im Landtag fordern dennoch einen Bericht des Innenministeriums über die Vorfälle. „Erschreckend finde ich diesen Rückfall in alte Muster des Verharmlosens“, sagt Sepp Dürr, Sprecher für Strategien gegen Rechtsextremismus. „Man bezeichnet die Straftaten als Einzelfälle, genauso, wie man es bei allen rechtsextremen Vorfällen vor Entdeckung der NSU-Morde getan hat.“
A. Gerke
Quelle: Oberbayerisches Volksblatt