Mainpost, 30.03.2012

Ministerium sieht keine Fehler

Nach Selbstmord in Würzburg: Opposition fordert Perspektivwechsel der Asylpolitik


Das Sozialministerium sieht im Zusammenhang mit dem Selbstmord eines iranischen Asylbewerbers Ende Januar in der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft (GU) kein Versagen staatlicher Stellen: Er sehe nichts, „was die bayerischen Behörden hätten anders machen können, um diesen Todesfall zu vermeiden“, sagte der für die Asylpolitik zuständige Ministerialbeamte Hans Dick im Landtag.

Alle zuständigen Stellen hätten den ärztlichen Empfehlungen Folge geleistet – zum Beispiel durch die Unterbringung in Unterfranken und nicht in Oberbayern, sodass der psychisch labile Mann näher bei seiner in Köln lebenden Schwester sein konnte. Den Wunsch des Mannes nach einer Verlegung nach Köln sei von Nordrhein-Westfalen abgelehnt worden. Alle Informationen zu diesem Thema seien am gleichen Tag weitergeleitet worden.

„Es kann in diesem Fall nicht darum gehen, Schuldzuweisungen zu diskutieren“, erklärte der SPD-Sozialexperte Hans-Ulrich Pfaffmann. Allerdings offenbare auch dieser Bericht bekannte Missstände im Umgang mit Asylbewerbern in Bayern: „Hätten wir bessere Bedingungen, hätte es diesen Selbstmord nicht geben müssen“, findet Pfaffmann. Der Freie-Wähler-MdL Hans Jürgen Fahn kritisierte in diesem Zusammenhang sowohl ein für Asylbewerber undurchdringliches „Behördendickicht“ und Sprachprobleme: So sei der Iraner laut Sozialministerium kurz vor seinem Freitod zu einem Gespräch bei der Rückkehrberatung ohne Dolmetscher gekommen. Von einer neuen Chance auf „Umverteilung“ nach Köln habe er deshalb wohl nichts erfahren. Nach Informationen dieser Zeitung war auch direkt vor dem Tod bei einer Behandlung in der Würzburger Uniklinik kein Dolmetscher zu bekommen, weshalb letztlich nur eine Augenuntersuchung stattfand. „Dolmetscher und Spracherwerb sind Bringschuld der Regierung“, kritisiert der Freie-Wähler Fahn. Auch gebe es offenbar keine Informationen, wie viele Flüchtlinge psychische Störungen haben. Ein „Informationsdefizit“, das auch der Würzburger CSU-MdL Oliver Jörg sieht: „Wäre der Mann nicht in die Einsamkeit seines Zimmers entlassen worden, wäre er vielleicht noch am Leben.“ Dennoch könne man den Behörden keinen Vorwurf machen, findet Jörg: „Und ich bin auch sehr zurückhaltend, vom Einzelfall auf die Gemeinschaftsunterkünfte generell zu schließen.“ Niemand könne wissen, was den Mann in seinen letzten Stunden bewegt hat, glaubt auch die SPD-Abgeordnete Angelika Weikert: „Längst klar ist aber: Gemeinschaftsunterkünfte machen krank.“ Vor allem in großen GUs wie in Würzburg sei die „Sozialberatung so dürftig, dass solche Extremfälle nicht erkannt werden“, glaubt auch die Grünen-MdL Renate Ackermann: „Das liegt am System der GU.“

Es gebe doch jetzt „Diagnosestellen“ bei der Erstaufnahme und deutlich mehr Geld für die Asylsozialarbeit, verteidigte sich die FDP-Abgeordnete Brigitte Meyer: „Das sind kleine Schritte, aber es ist doch immerhin was passiert.“ Dies nütze wenig, solange sich die Perspektive der Asylpolitik in Bayern nicht ändere, hielt die Opposition dagegen: „Wir müssen weg von der Ablehnungskultur hin zur Willkommenskultur“, fordert der SPD-Mann Pfaffmann.

Einen Perspektivwechsel, den sich auch das Augustinerkonvent St. Augustin in Würzburg wünscht: Alle GUs müssten umgehend aufgelöst, den Flüchtlingen Bargeld statt Essenspakete gegeben werden, heißt es in einem offenen Brief an Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU). Und weiter: „Mit großer Sorge beobachten wir, wie wenig sich die Bayerische Staatsregierung in ihrem Umgang mit Flüchtlingen von Mitmenschlichkeit und Empathie leiten lässt.“

Henry Stern

Quelle: Mainpost (Würzburg)

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