Süddeutsche Zeitung, 21.06.2012

Menschenwürde für 220 Euro

Kommentar


Vor gut zwei Jahren hat das Bundesverfassungsgericht im Hartz-IV-Urteil ausbuchstabiert, was das eigentlich bedeutet: ein menschenwürdiges Existenzminimum. Eine Summe hat es nicht genannt, aber die Richter haben deutlich gemacht, dass die Hartz-IV-Sätze sich an der unteren Grenze bewegen, wenn nicht sogar darunter. Nun müssen die Richter über die Leistungen für Asylbewerber entscheiden. Und weil die noch sehr viel geringer sind, stellt sich die Frage: Gibt es eigentlich ein Existenzminimum unter dem Existenzminimum?

Die Bundesregierung vertritt dazu eine bemerkenswerte Position. Zwar gesteht sie die Menschenwürde – was sonst – allen Menschen zu. Also auch den Asylbewerbern. Bei dieser Gruppe ist sie allerdings deutlich billiger zu haben. Es gibt so etwas wie ein Preissystem für Menschenwürde: Mal erfüllt der Staat diesen Anspruch mit 220 Euro monatlich, mal kostet er ihn 364 Euro.

Es ist vorhersehbar, dass das Verfassungsgericht ein Zweiklassen-System der Menschenwürde in dieser Form nicht akzeptieren wird. Schon deshalb, weil der ursprüngliche Grund für die massive Schlechterstellung – der lediglich kurzfristige Aufenthalt in Deutschland – inzwischen weggefallen ist. Viele der Betroffenen leben jahrelang in Deutschland und haben damit dieselben sozialen Bedürfnisse wie andere auch. Dass die Bundesregierung die Leistungen für diese Menschen fast 20 Jahre auf niedrigstem Niveau eingefroren lässt, ist beschämend. Dass sie nicht einmal auf die unmissverständlichen Vorgaben im Hartz-IV-Urteil reagiert hat, ist ein Skandal, denn menschenrechtswidrige Sozialleistungen dürfen kein Mittel der Abschreckung von Ausländern sein.

Wolfgang Janisch

Quelle: Süddeutsche Zeitung

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