ARD Monitor, 15.09.2011

Menschenunwürdig: wie Flüchtlinge in Deutschland kaserniert werden

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http://www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2011/0915/asyl.php5

 

 

Sonia Seymour Mikich: "Reden auch wir über Menschenrechte. Das tun ja zurzeit viele, vor allem Politiker, wenn sie die Freiheitsbewegungen in Tunesien, Ägypten, Libyen oder Syrien bewundern. Aber was ist mit den Rechten dieser Menschen, wenn sie hier bei uns, in Deutschland, landen? Darüber reden die verantwortlichen Politiker weniger gern. Verständlich, denn Asylbewerber hier leben bisweilen ganz mies. Bei einigen "Gemeinschaftsunterkünften" glaubt man kaum in Deutschland zu sein."

Marode Fenster und bröckelnde Wände, Schimmel und Algenbildung, zerstörte Bausubstanz. Das sind keine Bilder aus einer alten Militärkaserne irgendwo in Afrika, das sind Bilder aus Deutschland im Jahre 2011. Hier müssen Menschen leben, oft viele Jahre. Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, Asylbewerber. Viele wollen aus Angst vor Repressionen nicht erkannt werden. Aber sie wollen reden über die Zustände.

Asylbewerber, anonym: "Alles ist schlimm, Küche, Dusche, die Toiletten. Obwohl wir Menschen sind, leben wir wie Tiere." Zustände, die es eigentlich nicht geben sollte. Vor mehr als zwei Jahren gerieten schon einmal die bayerischen Gemeinschaftsunterkünfte in die Kritik. Schon damals versprach die bayerische Sozialministerin schließlich:

Christine Haderthauer, bayerische Sozialministerin, CSU (Tagesthemen 23.4.2009): "…einheitliche, zeitgemäße Lebensqualität und Wohnqualität herstellen für die Betroffenen."

Tom Buhrow (Tagesthemen 23.4.2009): "Solche Sammelunterkünfte wie in Würzburg, die soll es nicht mehr länger geben, richtig?"

Christine Haderthauer, bayerische Sozialministerin, CSU (Tagesthemen 23.4.2009): "So ist es. Dafür setze ich mich ein."

Zeitgemäße Wohn- und Lebensqualität. Der marode Backsteinbau stammt aus dem 19. Jahrhundert. Vor 150 Jahren lebten hier Soldaten der königlich-bayerischen Armee, heute sind es 135 Asylbewerber. Zustände wie diese sind es, die vor wenigen Wochen von den Vereinten Nationen scharf kritisiert wurden. In ihrem Ende Mai veröffentlichten Deutschland-Bericht kommt die Sozialkommission zu dem Ergebnis:

Zitat: Asylbewerber seien in „ungeeigneten und überfüllten Unterkünften untergebracht“, würden „nur in akuten Fällen“ medizinisch versorgt, und erhielten „unzureichende Sozialleistungen“.

Ein Interview zu den Gemeinschaftsunterkünften wollte uns Ministerin Haderthauer nicht geben. Auf Nachfrage teilte uns das Ministerium mit, die Mittel zur Sanierung seien erheblich aufgestockt worden. Ziel der Vorgaben sei es:

Zitat: "... wo notwendig, die baulichen Verhältnisse in den Gemeinschaftsunterkünften weiter zu verbessern."

Schöne Versprechen. Nur in der Kaserne Augsburg sieht man davon kaum etwas. Hier hat man die Gelder für den Bauunterhalt dieses Jahr um 20.000,- € auf insgesamt 149.000,- aufgestockt - viel zu wenig. Und eigentlich stünden nach den bayerischen Leitlinien für die Unterkünfte jedem Bewohner 7 Quadratmeter Wohn- und Schlaffläche zu - wenig genug. Aber selbst diese haben viele der Bewohner nicht.

Asylbewerber, anonym (Übersetzung MONITOR): "Ständig gibt es Konflikte. Wir können uns nicht aus dem Weg gehen. So wie wir leben hier, das ist permanenter Stress, das geht auf die Psyche. Schuld daran sind die Umstände. Wir hassen uns nicht, aber so wie wir leben müssen, werden wir dazu gebracht, uns zu hassen."

Professor August Stich kennt diese Geschichten. Seine Kritik an den Lagern wiegt besonders schwer. Er kennt die Verhältnisse von innen. Im Auftrag der Regierung Unterfranken betreut der Mediziner Asylbewerber in einer Gemeinschaftsunterkunft.

Professor August Stich, Missionsärztliche Klinik Würzburg: "Wir glauben, dass Gemeinschaftsunterkünfte die Menschen wirklich krank machen. Wir sehen eine Zunahme an den Symptomen von psychiatrischen Erkrankungen, von Belastungsstörungen durch die Realität des Lebens in den Lagern." Und sie haben Angst um ihre körperliche Gesundheit. In der Kaserne gibt es Ungeziefer, Taubenzecken. Der Hausmeister hat doppelseitiges Klebeband angebracht, sagen die Bewohner, mehr sei nicht geschehen.

OT Asylbewerber, anonym: "Das Zimmer hat irgendwas mit Jucken und Tränen. Da ist was, das läuft immer über das Band."

Wir zeigen die Bilder aus Augsburg dem Regensburger Jura-Professor Thorsten Kingreen. Für ihn besteht kein Zweifel, hier wird ganz offensichtlich gegen ein Grundrecht verstoßen.

Prof. Thorsten Kingreen, Universität Regensburg: "Wenn nun der Staat den Menschen die freie Entscheidung darüber abnimmt, wie sie leben, wo sie leben, dann hat er auch zugleich eine gesteigerte Schutzverantwortung. Eine Schutzverantwortung für Intimsphäre, Familienleben, aber insbesondere für die körperliche Unversehrtheit. Die körperliche Unversehrtheit ist grundrechtlich garantiert in Artikel 2.2 des Grundgesetzes und sie bedeutet, dass im Ergebnis Menschen, die in einer Unterkunft leben, wo die Gesundheit gefährdet ist, keine Verpflichtung haben, in dieser Unterkunft zu leben."

Und es sind nicht nur marode Wohnverhältnisse, die den Menschen zu schaffen machen. Ortswechsel, die Gemeinschaftsunterkunft Aschaffenburg. Auch das Leben hinter Stacheldraht kann krank machen. Leben unter ständiger Beobachtung. Vor acht Jahren flüchtete Manal mit ihrer Familie vor dem Terror in Syrien. Politisches Asyl bekam sie nicht. Abgelehnt. Heute hat sie alle Hoffnung verloren. Keine Ausbildung, keine Arbeit, keine Perspektiven.

Manal: "Acht Jahre, das ist zu viel. Alle Leute, jetzt ganze Welt weiß, was unser Regime ist. Ja, deswegen sie glauben uns jetzt bisschen. Aber die Lage hat sich nicht verändert, wir müssen immer noch hier warten, in Asylheim. Und jede Minute für uns in Asylheim kostet viel für uns. Jede Minute macht unsere Seele ein bisschen kaputt."

Das Prinzip Abschreckung, damit die Abgelehnten gehen und andere erst gar nicht kommen. Das ist das erklärte Ziel der bayerischen Flüchtlingspolitik. Schließlich heißt es in der entsprechenden Verordnung, die Zuweisung in Unterkünfte.

Zitat: "…soll die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern."

Professor August Stich, Missionsärztliche Klinik Würzburg: "Man will signalisieren, wir wollen euch hier nicht haben, ihr seid nicht willkommen. Und wir sehen auch, dass die Leute durch das Verfahren zermürbt werden in der Hoffnung dass sie möglichst bald freiwillig zurück gehen."

Sonia Seymour Mikich: "Asylbewerber hier sind oft Opfer eines fernen Krieges."


Bericht: Andreas Maus, Frauke Steffens

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