junge Welt, 07.09.2009

Menschenrechtspreis für Flüchtlinge

Stiftung von Pro Asyl zeichnet Aktivisten gegen diskriminierende Ausländergesetze aus

Mit Nissrin Ali und Felleke Bahiru Kum hat die Stiftung Pro Asyl am Samstag in Frankfurt am Main erstmals zwei Flüchtlinge ausgezeichnet, die sich für die Achtung der Menschenrechte einsetzen. Beide hatten den Mut, bei einer Anhörung im Bayerischen Landtag die inhumanen Bedingungen in bayerischen Flüchtlingslagern öffentlich zu kritisieren.

Vertreter von vier im Bundestag vertretenen Parteien hatten sich zur Preisverleihung eingefunden: Wolfgang Gehrcke (Die Linke), Tom Koe­nigs (Bündnis 90/Die Grünen), Andrea Nahles (SPD) und Hartfrid Wolff (FDP). Einzig die CDU war der Einladung nicht gefolgt. Pro-Asyl-Vorstand Günther Burkhardt forderte zunächst, für die mehr als 80000 Menschen in sogenannter Kettenduldung, die nach mehr als sechs Jahren in Deutschland oft noch immer isoliert in Sammellagern leben, müsse der Bundestag sofort nach der Wahl die Ausgrenzung beenden.

Es folgte eine zunächst erstaunlich harmonische Debatte. Was den Moderator Andreas Lipsch, interkultureller Beauftragter der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau, veranlaßte zu bemerken, nach der Bundestagswahl werde es wohl eine Viererkoalition geben. Nach den eindringlichen Worten der beiden Preisträger, der 19jährigen staatenlosen Kurdin Nissrin Ali und dem 35jährigen Äthiopier Felleke Bahiru Kum, wollte sich hier offenbar niemand eine Blöße geben. »Statt Freiheit hat uns hier ein Käfigleben erwartet«, hatte Felleke Bahiru Kum gesagt. Nissrin Ali hatte kritisiert, daß sich stets alle auf das Gesetz beriefen: »Menschen haben es geschaffen, sie können es wieder ändern.«

Auf dem Podium war man sich einig darüber, daß die geltende Stichtagsregelung, nach der nur jenen Familien ein dauerhafter Aufenthalt gewährt wird, die mindestens seit dem 1. Juli 2001, bzw. Alleinstehenden, die seit dem 1.Juli 1999 in Deutschland leben, aufgehoben werden muß. Alle anwesenden Politiker sprachen sich dafür aus, die Kettenduldungen ebenso abzuschaffen wie das damit verbundene Arbeitsverbot. Sie möchten die sogenannte Residenzpflicht, derzufolge Flüchtlinge ihren Kreis nicht ohne Sondergenehmigung verlassen dürfen, ebenso abschaffen wie das diskriminierende Asylbewerberleistungsgesetz, nach dem den Betroffenen kein Unterhalt gewährt wird, sondern nur Sachleistungen. Zudem solle künftig für die Aufenthaltsgewährung kein Job mehr nachgewiesen werden müssen, sondern lediglich das Bemühen, Arbeit zu finden.

Der Linke-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke betonte: »Solange Menschen in unserem Land unter solchem Druck stehen, sind wir alle nicht frei«. Völlig egal sei ihm, wer Anträge auf Veränderungen in den Bundestag einbringe – Hauptsache sei, sie würden schleunigst beschlossen. Tom Koenigs (Bündnis 90/Die Grünen) gestand Fehler der SPD-Grünen-Bundesrregierung ein. Als Skandal bezeichnete er die »Denunziationspflicht für Lehrer und Ärzte«. Andrea Nahles (SPD) bemerkte, Entlohnungsstandards müßten mit gesetzlichen Mindestlöhnen angehoben werden. Sonst scheiterten Flüchtlinge daran, ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können.

Am Ende wurde doch noch Tacheles geredet: Auf Nachfrage, warum die SPD dem Antrag der Grünen auf Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes nicht zugestimmt habe, antwortete Nahles: »Aus Koalitionsgründen – das hätte die Regierung ins Chaos gestürzt«. Diese Haltung wurde aus dem Publikum heraus scharf kritisiert. Der Liberale Wolff lehnte nach vielen warmen Worten eine vorbehaltlose Integration von Anfang an ab: »Nicht, solange die Möglichkeit einer Rückführung noch offen ist.«

Gitta Düperthal

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